Mordloch
voraus durch den Mittelgang, bis er links vor der Bühne einen Tisch erspähte, an dem nur drei Personen standen und sich dem Aerobic-Stimmungslied anschlossen. Er lächelte ihnen zu und las aus ihren Mienen, dass die Plätze tatsächlich frei waren. Die beiden Kriminalisten stiegen über die Bierbank, blieben aber stehen, um sich an dem allgemeinen Stimmungsgesang zu beteiligen und im Rhythmus zu klatschen.
»Danke, vielen Dank«, erfüllte Pohls Stimme den Raum, als das Lied beendet war. Die Zuschauer setzten sich wieder. Häberle überlegte für einen Moment, ob dies der Künstler war, den sie suchten.
Der Musiker nahm einen kräftigen Schluck aus einem Weizenbierglas. Schweiß rann ihm von der Stirn. Die Lieder handelten vom »alltäglichen Wahnsinn«, wie er zu sagen pflegte, von all den Widrigkeiten, die das Leben bescherte – oder von den lieb gewonnenen Gewohnheiten, derer sich nicht nur die Schwabenseele bedient. »Kennen Sie das Super-Tuper?« fragte er und die Zuhörerschar, überwiegend die weibliche, antwortete mit einem vielstimmigen »Jaaa.« Pohl griff wieder in die Saiten und sang das Lied, mit dem die Vorzüge dieser Plastikgefäße hervorgehoben wurden, in denen die Reste des gestrigen Essens heute besonders gut schmeckten. »Wir machen Super-Tupper-Party und tuppern alles ein ...«, so jedenfalls lautete die hochdeutsche Übersetzung des schwäbischen Refrains. Häberle verzog das Gesicht zu einem Lächeln. Selbst sein Kollege Linkohr amüsierte sich, auch wenn ihm diese Art von Musik nicht unbedingt zusagte.
Häberle bestellte bei der Bedienung zwei Cola, obwohl er damit völlig aus dem Rahmen fiel. So sehr ihm jetzt auch ein Weizenbier gemundet hätte, er musste fit bleiben. Die Nacht konnte noch lang werden. Pohl sang, begleitet von seinem Kollegen, noch ein halbes Dutzend weitere Lieder – von den vergeblichen Mühen eines Schwaben, sich als Heimwerker zu betätigen, oder von den Stuttgarter Ausflüglern, die sonntags die Albhochfläche beherrschen. Die beiden Kriminalisten klatschten jedes Mal Beifall.
Dann die Pause. Pohl und Schindling verließen die Bühne und strebten einer Biertisch-Garnitur zu, die in der äußersten linken Ecke des Bierzelts stand. Sie wischten sich den Schweiß von der Stirn und holten sich Mineralwasser-Flaschen aus einer bereitstehenden Kiste. Beide wirkten abgespannt und erschöpft und leerten sich das Wasser in die ausgedörrten Kehlen.
Häberle überlegte, ob er die beiden Männer in ihrer wohlverdienten künstlerischen Pause stören sollte. Doch die Zeit drängte. Und wenn dieser Musiker nichts mit der Sache zu tun hatte, würden ihn ein paar Fragen auch nicht aus dem Konzept bringen. Der Kommissar gab seinem Kollegen ein Handzeichen, vorläufig sitzen zu bleiben. Er selbst stand auf, stieg über die Bank und ging die paar Schritte auf die beiden Musiker zu. Im Zelt schwoll der Lärmpegel an.
Häberle lächelte, als er sich auf eine der beiden Bänke setzte, die den Tisch umgaben. »Entschuldigung«, sagte er, »ich will kein Autogramm.«
»Schade«, erwiderte Pohl spontan und strahlte übers ganze Gesicht, »aber wir reden trotzdem mit Ihnen.«
Marcel Schindling fächerte sich mit einem Stück Papier frische Luft zu.
»Sehen Sie’s mir nach, dass ich Sie nicht kenne«, kam Häberle zur Sache, »ich komm’ von der Kripo Göppingen und such’ jenen, der den Herrn Flemming kennt.«
Mit einem Schlag war aus Pohls Gesicht der Optimismus verschwunden. Im Schummerlicht dieses abseits gelegenen Platzes glaubte Häberle auch zu erkennen, wie sein Gegenüber plötzlich bleich wurde. Schindling, der gerade einen kräftigen Schluck aus der Sprudelflasche genommen hatte, musterte die beiden Männer durchdringend.
»Flemming«, wiederholte Pohl und atmete tief ein, »natürlich kenn’ ich den.« Und er fügte schnell hinzu, um gleich gar keine Unsicherheiten aufkommen zu lassen: »Er sei tot, hat mir jemand gesagt.«
Häberle nickte. »Richtig, ermordet. Und es heißt, Sie hätten geschäftliche Beziehungen zu ihm gepflegt.«
Pohl griff zu seiner Sprudelflasche, ohne sie zu öffnen. »Das ist fast ein bisschen zu viel gesagt. Wir sind uns nicht einig geworden.«
»Sie haben gestritten – gestern noch«, erklärte der Kommissar und musste lauter sprechen, weil der Geräuschpegel immer weiter stieg.
Pohls Augen nahmen irgendetwas Bedrohliches an, dachte Häberle. Vorbei mit der fröhlichen Stimmung, die er gerade noch auf der Bühne verbreitet
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