MordLust
Unnahbares verlieh. Sie trug einen dunkelbraunen Hosenanzug mit einem goldenen Seidenschal als eine Art Krawatte. »Ich hab ihn von zwei unserer Mitarbeiter holen lassen«, sagte sie. »Wir hatten ihn im Depot.«
»Danke.«
»Sie haben gesagt, eine Frau würde vermisst?« Schirmer winkte einem Typen mit einem Zweitagebart und einem Vierhundert-Dollar-Haarschnitt lässig mit den Fingern zu.
»Ja. In gewissem Sinn eine der Erbinnen des Armstrong-Vermögens«, sagte Lucas. »Die Enkelin der Frau, die die Quilts entdeckt hat. Diese Frau wurde möglicherweise ermordet.«
»Mrs. Coombs?«
»Ja.«
»O Gott«, sagte Schirmer und legte drei knochige Finger an ihre Lippen. »Auf denen liegt offenbar wirklich ein Fluch. Wie auf dem Grab des Tutanchamun.«
»Vielleicht können Sie ihn an ein anderes Museum abtreten«, schlug Lucas vor. »Und dafür ein Bild oder eine Statue bekommen.«
»Ich glaube nicht, dass wir genug dafür kriegen würden«, sagte Schirmer zögernd. Dann machte sie eine Handbewegung. »Hier entlang.«
Sie kamen an einem Bild vorbei, das aussah wie ein Sommersalat. »Warum würden Sie nicht genug dafür kriegen?«
»Ich fürchte, dass der Wert der Armstrongs seinen Höhepunkt längst überschritten hat. In dem Jahr, als wir den Quilt bekommen haben, war er wohl auf dem Höchststand.«
»Tatsächlich?«
»Erst gab es Probleme auf dem Aktienmarkt, und das finanzielle Interesse an Kunst ließ allgemein nach, und außerdem haben wir uns langsam von den Idealen der frühen Feministinnen entfernt«, sagte sie. »Die Zeiten ändern sich, Volkskunst von Frauen sinkt allmählich im Wert. Hier hinein.«
Sie gingen an einem Schild vorbei, auf dem GALERIE WEGEN UMBAUARBEITEN GESCHLOSSEN stand, und betraten einen leeren Raum mit weißen Wänden. Der Quilt war auf einen Rahmen aus Naturholz gespannt. Er war ein Wunderwerk an Farben; schwarze, braune, rote, blaue und gelbe Rechtecke schienen immer wieder neue dreidimensionale Rechtecke zu bilden, die den Anschein erweckten, als fegten sie diagonal über die gesamte Stofffläche.
»Kanadagänse«, sagte Schirmer. »Man kann sie beinahe mit den Flügeln schlagen sehen, finden Sie nicht?«
»Das stimmt«, pflichtete Lucas ihr bei. Er betrachtete den
Quilt einen Moment lang. Er verstand zwar nichts von Kunst, doch er wusste, was ihm gefiel. Und dieser Quilt gefiel ihm.
»Der wurde also von Mrs. Bucher gestiftet?«, fragte Lucas.
»Ja.«
»Und wo sind die Verwünschungen?«, fragte er.
»Hier.« Schirmers Anzugsjacke hatte eine Innentasche, wie bei einem Herrenanzug, und sie zog einen Druckbleistift und eine Penlight-Taschenlampe hervor. Sie stellten sich ganz dicht vor den Quilt, und sie deutete mit der Bleistiftspitze auf die Stiche. »Das ist ein M. Sehen Sie? Man muss in diese Richtung am Rand entlang lesen. ›Möge der Mann, der unter diesem Quilt liegt …‹«
Lucas verfolgte die Verwünschung um die abgesteppten Stoffstücke herum; die Buchstaben waren wie Kolibrispuren im herabgefallenen Herbstlaub. »Mein Gott«, sagte er schließlich. »Die muss aber wirklich stinksauer gewesen sein.«
»Das war sie«, bestätigte Schirmer. »Wir haben Dokumente aus ihrem Leben, die deutlich erkennen lassen, warum sie so stinksauer war. Sie hatte allen Grund dazu. Ihr Mann war ein absoluter Irrer.«
»Ach.« Ein leuchtend roter Faden stach Lucas ins Auge. Er beugte sich so tief hinab, bis seine Nase nur noch etwa fünfzehn Zentimeter von dem Quilt entfernt war. »Ach.«
Er musste sich täuschen. Dann dachte er, nein, tue ich nicht. Soweit er das feststellen konnte, hatte der Faden genau den gleichen Farbton wie das Garn auf der Spule, die er in Marilyn Coombs’ Küche neben dem Herd gefunden hatte. Doch dieses Garn war aus Arkansas gewesen.
Er sagte zum dritten Mal »Ach«, und Schirmer fragte: »Was ist?«
Lucas trat einen Schritt zurück. »Wie authentifizieren Sie so etwas?«
»Die Herkunft spielt eine große Rolle. Wir wissen, wo Mrs.
Coombs die Quilts gekauft hat, und wir haben uns das von dem Auktionator bestätigen lassen«, sagte sie. »Zwei Freundinnen von Mrs. Armstrong haben versichert, dass sie eine fleißige Quilterin war und dass diese Quilts von ihr stammen. Sie hat sie mit einem besonderen Zeichen signiert.« Sie zeigte auf die linke untere Ecke des Quilts. »Sehen Sie dieses Ding, das wie eine Weinrebe aussieht? Es ist in Wirklichkeit ein SA in Schreibschrift, für Sharon Armstrong. Wir wissen von einigen weiteren Quilts von ihr ohne
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