MordLust
rufen?«
»Einen Moment. Ich muss erst noch John Smith anrufen.«
Smith kam gerade aus einer Besprechung wegen eines Mannes, auf den vor ein paar Wochen im Regions Hospital eingestochen worden war. Der Verletzte war am Vortag an einer Infektion gestorben, die eine Folge der Stichwunde sein konnte oder auch nicht. Je nachdem hätte sich der Betrunkene, der mit dem Schraubenzieher zugestoßen hatte, einer leichten Körperverletzung oder eines Mordes schuldig gemacht.
»Je nachdem«, sagte Smith, »was acht verschiedene Ärzte sagen, und die versuchen alle, eine Anklage wegen eines Behandlungsfehlers zu umgehen.«
»Viel Glück«, erwiderte Lucas. »Gibt’s was Neues im Fall Bucher?«
»Danke der Nachfrage«, sagte Smith.
»Ich werd mal mit dieser Amity Anderson reden. Ich hab
dir doch von ihr erzählt. Sie war Sekretärin bei dieser Frau in Wisconsin.«
»Ja … Hoffen wir, dass was dabei herauskommt.«
Amity Anderson arbeitete bei der Old-Northwest-Stiftung in Minneapolis. Lucas hatte sie über einen Bekannten bei der Finanzbehörde ausfindig gemacht, der einen Blick auf ihre Steuererklärung geworfen hatte. Ihre Stimme am Telefon klang näselnd mit einem Touch von Manhattan. »Ich hab den ganzen Nachmittag Klienten. Ich könnte Sie nach vier Uhr empfangen, wenn es wirklich dringend ist«, erklärte sie.
»Ich wohne etwa eine halbe Meile von Ihnen entfernt«, sagte Lucas. »Vielleicht könnte ich kurz vorbeischauen, wenn Sie nach Hause kommen? Falls Sie nichts vorhaben.«
»Ich hab schon was vor, aber wenn es nicht allzu lange dauert, könnten Sie um Viertel nach fünf vorbeikommen. Ich muss gegen sechs wieder weg.«
»Dann bis Viertel nach fünf.«
Als er auflegte, sah er eine junge blonde Frau neben Carols Schreibtisch stehen, die verstohlen durch seine offene Tür zu ihm herüberblickte. Er erkannte sie von der Begrüßungsparty für die Sommeraushilfen wieder. Sandy.
»Sandy«, rief er. »Kommen Sie herein.«
Sie war groß. Und was noch schlimmer war, sie hielt sich für zu groß und ließ die Schultern hängen, um kleiner zu wirken. Sie hatte eine schmale Nase, zarte Wangenknochen, nebelblaue Augen und eine Brille, die zu groß für ihr Gesicht war. Sie trug eine weiße Bluse, einen blauen Rock und schwarze Schuhe, die nicht zu dem Rock passten. Sie hatte noch nicht zu ihrer Persönlichkeit gefunden, dachte Lucas. Sie war schätzungsweise zwanzig Jahre alt.
Sie kam hereingeeilt und blieb stehen, bis er sagte: »Setzen Sie sich. Wie geht es Ihnen?«
»Mir geht’s gut.« Sie war nervös und zupfte an ihrem Rocksaum. Ihm fiel auf, dass sie Nylonstrümpfe trug. Das musste doch furchtbar warm sein. »Ich hab die Sachen recherchiert, die Sie haben wollten. Man hatte mir erlaubt, gestern länger zu bleiben.«
»Das hätten Sie aber nicht …«
»Nein, es war wirklich sehr interessant«, sagte sie, und ihre Wangen wurden leicht rosa.
»Was, äh …«
»Okay.« Sie legte einen Stapel Papiere neben sich auf den Boden und blätterte in dem zweiten. »Zu den Hewlett-Packard-Druckern. Die Antwort lautet, fast jeder könnte einen Hewlett-Packard-Drucker gesehen haben, aber niemand weiß das so genau. Es werden nämlich alle möglichen Drucker weggeworfen. Denn niemand will einen alten Drucker haben, und eigentlich gibt es genaue Bestimmungen, wie sie zu entsorgen sind. Deshalb packen die Leute sie in Müllsäcke und verstecken sie in ihren Mülltonnen oder werfen sie jemand anderem in den Container. Jede Woche gibt es Dutzende solcher Fälle.«
»Scheiße …« Er merkte, dass sie rot wurde. »Entschuldigen Sie.«
»Schon okay. Die Sache ist die, weil so viele Drucker in Müllsäcken stecken, sieht man sie erst, wenn der ganze Müll ausgekippt wird, das heißt, sie verschwinden sang- und klanglos in der Mülldeponie«, sagte sie.
»Also haben wir damit kein Glück.«
»Ich fürchte nein. Es ist unmöglich festzustellen, welcher Drucker von wo kam. Selbst wenn wir den richtigen Drucker finden würden, würde niemand wissen, mit welchem Müllwagen er gekommen ist oder wo er eingesammelt wurde.«
»Okay, das können wir also vergessen«, sagte Lucas. »Hätte ich eigentlich wissen müssen.«
Sie nahm den zweiten Stapel Papiere. »Zu den ungeklärten Mordfällen. Ich habe in den fünf Staaten recherchiert, nach denen Sie gefragt haben, und außerdem in Nebraska, weil es dort keine großen Städte gibt. Ich habe einen ungeklärten Fall gefunden, der vielversprechend aussieht. In Chippewa
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