MORDMETHODEN
den Taten beteiligt war und keineswegs ein gezwungenes oder gar geschlagenes Opfer ihres Gatten war, das einfältig daneben stand.
Auf Anweisung von Paul Bernardo hatte der Anwalt die Videokassetten schon im Mai 1993 aus dem neuen Versteck geholt. Murray, als Strafverteidiger an heiße Eisen gewohnt, erklärte später, dass er immerhin sein Mandat niedergelegt hätte, als Bernardo danach weiter behauptete, er habe zwei der auf den Bändern zu sehenden Mädchen »noch nicht einmal angefasst«. Was der Anwalt allerdings nicht tat, war immer noch schlimm genug. Er wusste, dass Bernardo jede Schuld abstreiten würde, solange die Bänder nicht entdeckt waren. Um seinem Mandanten nicht zu schaden, übergab er die Beweismittel daher nicht an seinen Nachfolger, den Strafverteidiger John Rosen, sondern behielt die Bänder volle 16 Monate lang – und schwieg.
Als die Polizei am 24. Juli 1994 genetische Fingerabdrücke aus dem Haus der Homolkas freigab, wurde es eng für Bernardo und sein stoisches Lügen. Auf einem Nachttischdeckchen hatte sich Erbsubstanz von Kristen French und Leslie Mahaffy gefunden. Sie stammte aus dem Mageninhalt, den die beiden Mädchen erbrochen hatten, als Bernardo sie oral vergewaltigte. Murray erklärte ihm, dass nun auch ohne Videos bewiesen sei, dass er die Kinder misshandelt hätte.
Doch das sah Bernardo nicht ein. Er antwortete, es könne schon sein, dass sein Sperma im ganzen Haus verteilt sei, aber das läge an den sexuellen Ausschweifungen zwischen ihm und Karla. Dass das keine gute Erklärung für das Erbrochene von verwest aufgefundenen Mädchen war, die er zwar niemals angefasst haben wollte, die aber neben seinem Bett unter anderem sein Sperma erbrochen hatten, wollte er nicht einsehen. Nun erst platzte Murray der Kragen, und er erzählte seinem Nachfolger Rosen von den Videos.
Am 8. August 1994 wurde Murray juristisch gezwungen, dieBänder dem Gericht zu übergeben, und im September lieferte sein Kollege Rosen sie ab. Doch da war es schon zu spät: Die »Abmachung mit dem Teufel« war unwiderruflich in Kraft getreten, da Karla bereits rechtskräftig verurteilt war. Einen neuen Prozess konnte oder wollte sich der bereits blamierte kanadische Staat nicht mehr leisten. Die Öffentlichkeit schäumte.
1995 wurden die Videobänder der Jury vorgespielt, die über Paul Bernardos weiteres Schicksal zu entscheiden hatte. Er wurde der Morde an Mahaffy und French für schuldig befunden. Ursprünglich war Bernardo wegen 43 Sexualdelikten angeklagt worden; nun würde er wegen Doppelmordes lebenslänglich einsitzen.
Damit sitzt der Verurteilte (bis heute) in einer winzigen, fensterlosen Zelle mit Bett, Tisch und Fernseher, während seine Exfrau (die beiden sind inzwischen geschieden) eine schönere Zelle und mehr Freigang hat. Vor allem aber steht es Karla frei, nach einem Drittel ihrer Haftzeit einen ersten Antrag auf Entlassung zu stellen. Wie schon geschildert, hätte sie diesen Antrag im September 2000 auch fast eingereicht, wenn die Presse nicht eine Gegenkampagne gestartet hätte.
Die Eltern zuletzt
Weniger hanebüchen ging es bei den Familien der ermordeten Kinder zu. Allein die unbezahlten Anwaltsrechnungen der Familien Mahaffy und French betrugen bis 1998 umgerechnet etwa 350 000 Euro. Vor allem aber belasteten die Videobänder sie seelisch. Diese lagen noch immer bei den Gerichtsakten, und es bestand die Gefahr, dass sie irgendwann freigegeben werden könnten. Für Leslies Mutter waren sie »Giftmüll«, und Frau French hielt die Existenz der Kassetten für eine »immer weiter andauernde Gewalttat gegen die Mädchen«.
Nachdem im Herbst 2000 juristisch geklärt war, dass Bernardo keinesfalls mehr aus dem Gefängnis kommt unddass auch seine Exfrau ihre volle Haftzeit von zwölf Jahren absitzen muss, geschah zum ersten und einzigen Mal im Kriminalfall Bernardo/Homolka etwas Befreiendes, Vernünftiges und Gutes. Am 20. Dezember 2001 wurden die Originale und alle Kopien der Videobänder auf Anweisung von Generalstaatsanwalt David Young von der Polizei in Niagara an unbekannter Stelle verbrannt. »Die Familien der ermordeten Kinder haben lange genug gelitten«, erklärte Young, »und es war mir eine Ehre, die Vernichtung der Bänder anordnen zu dürfen.« Die Behörden bewahren heute nur noch eine schriftliche Beschreibung der auf den Videos festgehaltenen Tatabläufe auf.
»Das war ein unglaublich emotionaler Augenblick«, sagte Kristens Mutter, als sie mit ihrem Mann und den Eltern von
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