Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
Vom Netzwerk:
ständig gegen die Streben des Holzgestells, und zweitens verkrafteten einzelne Tritte das Gewicht nicht: Eine der Leitersprossen brach, als der 85 Kilo schwere Mann mit dem nachgemachten Charles junior darauf trat. Höchstwahrscheinlich war das Kind also schon gestorben, während es die Leiter hinabgetragen wurde, indem es entweder gegen die Sprossen gestoßen wurde oder samt Tasche (und deren Besitzer) hinabstürzte. Der Täter hatte dann den für ihn nun wertlosen Körper ein Stück vom Haus entfernt und nahe eines Weges aus dem Auto geworfen. Dass er das Kind nicht vergraben oder zumindest mit Ästen bedeckt hatte, sprach für seine Eile.
    Diese neuen Erkenntnisse waren kriminalistisch schwer zu deuten. Warum war der Täter das Risiko der Lösegeldübergabe eingegangen, zu der normalerweise die Rückgabe des Kindes gehört hätte? Außerdem musste der Täter jederzeit damit rechnen, dass die Leiche gefunden wurde und die Verhandlungen platzten.
    Selbst ein dummer Täter konnte sich ausrechnen, dass er, sollte er nach dem Leichenfund jemals gefasst werden, mit einer Mordanklage zu rechnen hatte. Das war damals in den USA ein großer Unterschied zur einfachen Entführung, die erst im Lauf des Lindbergh-Falls zu einem Verbrechen mit möglicher Todesstrafe wurde sowie in die Zuständigkeit des FBI überging (»Lex Lindbergh«).
    Warum also hatte der Täter trotz der im Freien liegenden und damit sicher bald zu entdeckenden Leiche Lösegeld eingefordert?Das ergab einfach keinen Sinn. Oder hoffte der Entführer, rechtzeitig aus der Zeitung vom Fund des toten Kindes zu erfahren? Doch wie passte das zur Seelenruhe, mit der Cemetery John eine Stunde lang nachts mit Condon verhandelte? Wissend, dass er das Kind getötet hatte und unter dem enormen Zeitdruck der Leichenentdeckung stand, hätte er die Lösegeldübergabe wesentlich schneller vorantreiben müssen. Oder hatte er Condon erst überreden müssen, sein Komplize zu werden? Vielleicht war Condon ja tatsächlich unschuldig und wurde durch die Briefe des Entführers nur in eine fremde Sache hineingezogen? Wie man es auch drehte, die möglichen Erklärungen passten vorn und hinten nicht.
    Darüber vergingen die Jahre 1932 und 1933. Mehrere Familien riefen die Lindberghs an und boten ihnen ihre eigenen Kinder an als Ersatz für den verlorenen Sohn. Doch bereits im August 1932 war ihr zweiter Sohn Jon zur Welt gekommen. So konnten die Lindberghs die Angebote der gebefreudigen Eltern dankend ausschlagen.
    Seit der Entführung waren inzwischen zweieinhalb Jahre vergangen; es gab anderes zu tun, und der Fall geriet in den Hintergrund. Das änderte sich schlagartig, als am 16. September 1934 ein Mann im armen Südosten Manhattans zum Tanken fuhr. Bei Walter Lyle, dem Tankwart, zahlte er mit einer zu dem Zeitpunkt ungewöhnlichen Geldnote, einem so genannten Goldzertifikat. Diese Zertifikate sahen den heutigen Dollarscheinen sehr ähnlich und wurden seit 1863 an jeden ausgegeben, der Gold zur Bank gebracht hatte (für Silber erhielt man Silberzertifikate). Die US-amerikanische Bundesbank garantierte, jedes Goldzertifikat wieder in den aufgedruckten Wert an Edelmetall umzutauschen, wohl wissend, dass dies kaum jemand verlangen würde. Denn es war für die Bürger wesentlich einfacher, Scheine im Tresor zu hüten oder unter dem Kopfkissen zu verstecken als Goldbarren oder -münzen.
    Im Frühjahr 1932, als Lindberghs Privatbank das Lösegeld bereitstellte, waren solche Goldzertifikate noch normale Zahlungsmittelund in allen möglichen Wertabstufungen erhältlich. Das Lösegeld bestand fast nur daraus.
    Doch bald gerieten die Banken durch die Goldzertifikate in die Klemme. 1933, im Jahr nach der Entführung des kleinen Charles Lindbergh, brach eine gewaltige Wirtschafts- und Bankenkrise aus. Auf einmal wollten die Bürger ihre Edelmetalle zurück. Selbstverständlich gab es längst nicht mehr genügend Goldreserven, und so tat die Regierung, was jede Regierung in dieser Situation tun würde: Sie verbot den Banken zum 1. Mai 1933, Goldzertifikate gegen Edelmetalle einzutauschen. Das löste zwar nicht das Problem, kurierte aber die Symptome. Die Bürger standen dumm da und versuchten, die Goldzertifikate irgendwie loszuwerden. Ein Schwarzmarkt entstand.
    Im folgenden Jahr mussten alle staatlichen Banken, die noch Edelmetalle eingelagert hatten, diese an die Schatzmeisterei der weiter mit der Wirtschaftskrise kämpfenden Regierung abliefern. Goldzertifikate hatten damit innerhalb von

Weitere Kostenlose Bücher