MORDMETHODEN
A Father’s Story. One Man’s Anguish at Confronting the Evil in his Son ). Darin erklärt er unter anderem, Wesenszüge seines Sohnes in sich zu finden, etwa den Wunsch nach einer kontrollierbaren Welt.
Wer die Jugendfotos von Jeffrey Dahmer sieht, ist überdies für immer davon geheilt, einem Menschen Übles an sehen zu wollen. Harmlosere und freundlichere Bilder wird man in keinem Familienalbum finden. Selbst die Gattin des Autors meinte, als sie zufällig ein Foto von Dahmer sah, dass »der doch ganz gut« aussehe. Die Fotos geben eben nicht wieder, dass der Serientäter in Wirklichkeit stocksteif ging, flach sprach und von normalen menschlichen Gefühlen sowie Einsichten komplett abgeschnitten war. Dahmer selbst betonte stets, allein für seine Taten verantwortlich zu sein – nicht die Gesellschaft und nicht seine Erziehung. Nachsicht wollte er nicht, und sogar eine Gerichtsverhandlung hatte er sich ausdrücklich gewünscht. Unmittelbar bevor er vom Richter zu 957 Jahren Haft verurteilt wurde, erklärte er: »Ich wollte [durch die Verhandlung; M. B.] herausfinden, was mich so schlecht und böse gemacht hat.«
Auch die Ehefrau des Serienmörders Peter Kürten, des »Vampir von Düsseldorf« (hingerichtet im Kölner Klingelpütz am 2. Juli 1931), ahnte nichts vom Schattendasein ihres Gefährten. Zwar lebten die beiden nicht gerade in zärtlich-vertrauten Verhältnissen, aber immerhin auf engstem Raum zusammen. *
Aus dieser Sicht – jeder Mensch kann Böses tun, ohne dass man es ihm ansieht – wäre es also auch gut möglich, dass Charles Lindbergh sein eigenes Kind umgebracht hat (S. 146ff.). Der deutsche Einwanderer Bruno Hauptmann wäre dann ein missverstandenes Geschöpf, obwohl er früher einmal ein mehrfach verurteilter Straftäter war.
Lindbergh hat wirklich übermütige, böse Späße begangen. Er war auch ein sturer Mann und glaubte an Ideen, die unter anderem im Dritten Reich Verbreitung fanden. Ebenso wahr ist, dass er menschenscheu, dafür aber wagemutig und ein begabterTüftler war. Er liebte seine Familie und warb für die bessere Verständigung zwischen den USA und Europa. Welche dieser Einschätzungen erlaubt es uns, Lindbergh oder Hauptmann eine Entführung zuzutrauen? Der Autor meint: keine. Die Sachbeweise sprechen in diesem Fall zum Glück für sich, nur Hauptmann kann der Täter gewesen sein.
Noch schwieriger ist die Einschätzung von Menschen, die sozial verwahrlost sind. Ihnen treten auch erfahrene Ermittler oft mit großem Misstrauen entgegen. Vorgefasste Meinungen bestimmen unser Menschenbild derart, dass Helden und Halunken uns dann am liebsten sind, wenn sie so aussehen, wie es uns die Kinowelt suggeriert. Verallgemeinernde Annahmen sind aber meist falsch, und das gilt auch für unseren vorgeformten Blick auf die Welt und die Menschen. Weil das so ist, erscheint mancher naturwissenschaftliche Kriminalist seinen Mitmenschen als kauzig und seltsam. Denn wer sein Leben damit verbringt, im Labor unter kontrollierbaren Bedingungen Einzelfälle nur im Licht der Wahrheit (nicht aber von Gut und Böse) zu betrachten, kommt in einer Welt der vorgefassten Meinungen nur schlecht zurecht. Das Motto der amerikanischen Universität Harvard bringt das gut zum Ausdruck: »Veritas« – Wahrheit. Eine trockene Leitlinie, aber doch die schönste, die es für Wissenschaftler gibt.
Strafverteidiger, Sozialarbeiter und Richter können mit der reinen Wahrheit hingegen nicht arbeiten. Sie müssen immer auch ermitteln, wie schwer die Schuld einer Person wiegt. Hier hilft keine Naturwissenschaft, und das Spekulieren und Abwägen beginnt.
Ein Beispiel dafür, wie sehr unsere Wahrnehmung gefärbt und geformt ist, zeigt sich an unserer Einschätzung von Geistlichen. Diesem Personenkreis wird grundsätzlich Vertrauen entgegengebracht. Das ist gut und richtig, denn die Erfahrung zeigt, dass Gottesmenschen meist Gutes tun, und zwar sowohl für Einzelne wie auch für die Gemeinschaft.
* Die diesbezüglichen Aussagen von Frau Kürten bei der Polizei vom Juni 1930 sind immer noch ein Quell des Staunens: »Als ich meinem Manne am Tage vor seiner Verhaftung mitteilte, dass er festgenommen werden solle, weil er ein Mädchen vergewaltigt habe, bestritt er zunächst mir gegenüber, dies getan zu haben. Dann aber sagte er, er habe alles getan, und mit dieser Bemerkung ging er weg. Ich dachte dabei, es handele sich um Dinge, die er auch mit der Tiedemann gemacht haben soll [rein sexuelle Übergriffe; M. B.].
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