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Mordrausch

Mordrausch

Titel: Mordrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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die Wüste, wo fahle Gesichter aus Audis und Mustangs wie Geister dem Dämon nachstarrten, der im frühen Licht des Morgens an ihnen vorbeiraste …
    Beim Fahren verschwand die Welt – Arbeit, Vergangenheit, Erinnerungen, Träume, einfach alles –, bis er zu einem sich schnell bewegenden Teil der Landschaft wurde, ein Komplex aus Nerven, Innereien, Hoden, Knochen, Muskeln.
    Er träumte davon, von einem Dach in Bakersfield auf die Stadt hinabzublicken, auf die anderen Dächer, die Palmen und Berge, den heißen, trockenen Wind im Gesicht. Dort oben hatte er das Gefühl, alles sei möglich. Dann roch er den Teer und erkannte seinen Irrtum.
    Und er träumte von den Typen, die er umgebracht hatte, von ihrer Miene, wenn er abdrückte. Die BMW stammte von einem von ihnen. Er hatte dem Mann die Schrotflinte an den Kopf gehalten, bis er jammernd, flehend und zitternd die Dokumente unterschrieb. Sobald die Papiere in Cappys Tasche steckten: Bumm! Und wieder biss einer ins Gras. Knochen säumten seinen Weg durch die Mojave-Wüste.
    Er hatte sie ohne Zögern und Mitleid getötet und genoss die nächtliche Erinnerung daran …
    Irgendwann morgens begann er, die Kälte von Minnesota zu spüren, und er wurde wach. Ächzend wälzte er sich herum; die Träume von Kalifornien erloschen wie eine Streichholzflamme im Wind. Der Winter kroch durch die undichten Fenster zu ihm ins Bett. Er streckte sich mit schmerzenden Rückenmuskeln, zog die billige Nylondecke zum Kinn hoch und lauschte: Es war sehr still. Wahrscheinlich schneite es wieder. Schnee dämpfte die Geräusche des Highway und der Nachbarzimmer. Er warf einen Blick auf den Wecker: neun. Er hatte seit sechs geschlafen, nach einem Dreitagemarathon mit Methamphetamin, Kokain und Arbeit. Das alles verschwamm in seinem Gehirn; er konnte sich nicht mehr richtig erinnern.
    Er war immer noch müde. Obwohl er keine Lust hatte aufzustehen, schwang er die Beine über die Bettkante und zündete sich in dem trüben Licht, das durch die Jalousien drang, eine Camel an. Er rauchte sie ganz herunter, drückte sie aus und trottete zum Bad. Die alten, kalten Bodendielen bogen sich unter seinen Füßen durch; der Raum roch nach Tabak, bröckelndem Putz und sich ablösenden Tapeten.
    Im Bad gab es nur eine einzige Glühbirne mit einer Schnur zum Anschalten. Cappy zog daran und betrachtete sein Gesicht im Spiegel des Arzneimittelschränkchens. Zu der Narbe vom einen Nasenflügel bis zum Kinn waren ein paar Fältchen dazugekommen. Das störte ihn nicht; er würde ohnehin nicht alt werden.
    Heute war sein Geburtstag. Noch ein Jahr, dann konnte er sich ganz legal einen Drink kaufen.
    Er wurde zwanzig an diesem kalten Wintermorgen in St. Paul Park.
    Bei der Rückkehr nach Minnesota hatte er einen Zwischenstopp in seiner Heimatstadt eingelegt, um sich umzusehen, und festgestellt, dass ihn dort nichts mehr interessierte. Seit seiner Junior-Highschool-Zeit hatte er sich so sehr verändert, dass wahrscheinlich nicht einmal sein Vater ihn mehr erkannt hätte.
    Anders als John Loew, ein Junge, mit dem er aufgewachsen war. Loew hatte gerade den SuperAmerica betreten, als Cappy herauskam. Cappy hatte ihn erkannt, war jedoch weitergegangen. Loew war stehen geblieben, hatte sich umgedreht und gefragt: »Cap? Bist du das?«
    Cappy hatte sich ebenfalls umgedreht und genickt. »Wie geht’s, John?«
    »Hey, Mann … du hast …«
    »Ja?«
    »… dich verändert. Siehst aus wie ein Filmschauspieler oder so. Wo hast du dich rumgetrieben?«
    »Ach, in L.A., San Francisco, an der Westküste.«
    Eine Frau war aus einem Corolla gestiegen, hatte sich zu ihnen gesellt und gefragt: »John?«
    »Carol, das ist Cap Garner«, hatte Loew sie Cappy vorgestellt. »Wir sind zusammen aufgewachsen und zur Schule gegangen.«
    Die Frau war in Cappys Alter, aber innerlich bestimmt achtzehn Jahre jünger als er, weil sie noch nichts wirklich Interessantes erlebt hatte. Sie war ein bisschen pummelig, ein bisschen blond und ein bisschen attraktiv. Sie hatte Cappy voller Verachtung gemustert und ihn mit einem »Hallo« begrüßt.
    Cappy hatte genickt, das Bein über die BMW geschwungen und Loew gefragt: »Und was machst du?«
    »Business Administration, Finanzwesen, in Mankato.« John hatte beinahe verlegen mit den Schultern gezuckt. »Carol und ich sind verlobt.«
    Cappy hatte die Schutzbrille über die Augen gezogen und gesagt: »Schön, dass es dir gut geht, John.«
    »Ja … Also dann …«
    »Schönen Tag noch«, hatte Cappy

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