Mordrausch
die Rasur. Fällt Ihnen dazu etwas ein?«
Joe Mack starrte sie mit offenem Mund an, bevor er antwortete: »Quatsch.« Doch das klang so niedergeschlagen, dass die Sache klar war.
Lucas entspannte sich; sie hatten es fast geschafft. »Joe, es geht um einen Mord. Und jemand will die Zeugin umbringen, aber das wird nichts. Wir haben sie unter Schutz gestellt. Wenn Sie nichts damit zu tun haben, könnten wir mit Ihnen einig werden. Wenn schon, führt kein Weg am Gefängnis vorbei.«
Es klopfte an der Tür. Shrake öffnete sie einen Spalt und erklärte: »Wir führen ein vertrauliches Gespräch.«
Honey Bee Brown streckte den Kopf herein und sagte zu Joe Mack: »Du Arschloch. Shooter und Mikey sind tot. Was für eine Scheiße läuft da? Sie waren mit uns befreundet ! Dir scheint das egal zu sein.« Sie fing an zu weinen.
»Honey, ich hab keine Ahnung, was läuft«, versicherte ihr Joe Mack. »Die Typen hier behaupten, Mikey hätte das Krankenhaus überfallen.«
»Miss Brown, Honey Bee«, sagte Shrake, »wenn Sie uns bitte allein lassen würden. Wir befragen gerade …«
Von draußen rief der Budweiser-Lieferant: »Hey, Joe … unterschreib doch mal die Rechnung. Ich hab’s eilig.«
»O Mann«, stöhnte Joe Mack und fügte an Shrake und Lucas gewandt hinzu: »Dauert nicht lang.« Honey Bee trat einen Schritt zurück, und Joe Mack ging hinaus zu dem Budweiser-Mann, der mit der Abrechnung auf ihn wartete.
Im nächsten Moment gab Joe Mack Fersengeld. Er sprintete an dem Budweiser-Lieferanten vorbei durch den schmalen Spalt zwischen der Rückseite des Lieferwagens und der Garagentür und die Rampe hinunter.
Das geschah so unerwartet, dass er weg war, bevor die Polizisten reagieren konnten. Lucas stieß bei dem Versuch, ihm nachzurennen, gegen Honey Bee und den Budweiser-Mann, so dass Lucas und Honey Bee stürzten. Shrake, der schneller war als Lucas, lief weiter, Marcy zwei Schritte hinter ihm. Als Lucas sich hochrappelte, sah er, wie Joe Mack über den Zaun hechtete, der den hinteren Teil der Kneipe vom Nachbarhaus trennte, und verschwand.
Shrake war dreißig oder vierzig Meter hinter ihm, aber weil er Stiefel und eine schwere Jacke trug, verlor er rasch an Boden. Marcy lag noch weiter hinten. Shrake kletterte über den Zaun und lief weiter, während Lucas zur Straße und an dem Beobachtungswagen vorbeirannte, wo Martin, der sich gerade in Bewegung setzen wollte, rief: »Ist er das?«
»Er versucht zu fliehen«, erwiderte Lucas. »Steigen Sie in den Wagen, los …«
Als die Polizistin zu sprechen begonnen hatte, war Joe Mack in Panik geraten. Sie wussten Bescheid. Über die Sache mit dem Haarschnitt, die Drogen, einfach alles. Und sie hatten eine Zeugin. In dem Moment, in dem der Budweiser-Mann mit seiner Rechnung gerufen hatte, war er losgerannt. Ohne zu überlegen.
Joe Mack war schnell, war in der Highschool die Kurzstrecke gelaufen, und er trug keine schwere Winterkleidung, sondern nur eine leichte Jacke und Turnschuhe, wie immer in der warmen Kneipe.
Doch er spürte die Kälte; er musste bald in einen geschlossenen Raum. Wenn nicht, würde er sich den Tod holen. Er rannte durch Hinterhöfe, um Häuser, Garagen, Zäune, aufgebockte Boote und Hecken herum, wurde müde, wandte sich nach links den Hügel hinunter, überquerte eine Straße, dann noch eine … Er sprintete an einem Gebäude vorbei, sprang über einen Zaun, stieß gegen ein Vogelhäuschen, hechtete über einen weiteren Zaun, lief an einer Hecke und einer Garage entlang.
Und entdeckte Jill MacBride, die gerade in ihren Minivan stieg.
Mack schlug ihr gegen den Rücken, und sie schrie auf. Er schob sie mit brutaler Gewalt über den Sitz in den Fußraum des Beifahrersitzes, nahm ihr den Wagenschlüssel ab, steckte ihn ins Zündschloss, knallte die Tür zu und brüllte sie an: »Schnauze …« Dann lenkte er den Wagen aus der Ausfahrt. Zehn Sekunden später war er am anderen Ende des Häuserblocks und um die Kurve herum. Im Rückspiegel sah er einen Mann über die Straße sprinten, in die falsche Richtung.
Die Frau schluchzte: »Tun Sie mir nichts.«
Joe Mack holte tief Luft. »Ich bin auf der Flucht vor der Polizei und habe eine Waffe. Wenn Sie mir dumm kommen, bring ich Sie um.« Er hatte keine Waffe, klang aber in seiner Angst überzeugend. Jill MacBride blieb im Fußraum des Wagens.
Ihre Tasche lag auf dem Boden unter Joe Macks Füßen. Er hob sie auf, wühlte darin herum, steckte ihre Brieftasche ein. Das Geld konnte er gut gebrauchen.
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