Mordrausch
egal.
Das Operationsteam wiederholte ungläubig Yamaguchis Worte, als Thomas Carlson, der Verwaltungschef des Krankenhauses, den Flur heranhastete. Carlson trug einen Arztkittel, was er bei öffentlichen Auftritten gern tat, um daran zu erinnern, dass er nicht nur einen MBA, sondern auch einen Doktor der Medizin sein Eigen nannte. Trotzdem, dachte Weather, war er kein schlechter Kerl.
Er ging zu Maret. »Gabe, hast du’s gehört?«
»Ich weiß, dass ein Raubüberfall passiert ist.«
»Ja. Zu allem Unglück ist dabei ein Mann schwer verletzt worden. Und wir haben momentan keinen Zugang zu Medikamenten. Im Notfall müssen wir sie uns auf dem Boden zusammensuchen. In der Apotheke herrscht Chaos. Sie haben sämtliche Arzneien aus den Schränken herausgerissen.«
»Es wären alle hier«, erklärte Maret.
»Aber ihr müsst warten«, sagte Carlson. »Tut mir wirklich leid. Solange der Zustand der Kinder stabil ist …«
Maret nickte. »Na gut, dann warten wir eben.«
Weather und Maret gingen gemeinsam in den Raum, in dem die Eltern der Zwillinge warteten.
Lucy und Larry Raynes saßen auf einer Couch vor einem Tisch voller Zeitschriften, von denen sie keine lasen. Sie waren Anfang dreißig und einander sehr ähnlich: honigblond, groß gewachsen, schlank und aus der Kleinstadt New Ulm im südlichen Minnesota. Larry arbeitete in einem Geschäft für Heizungs- und Klimaanlagen, das seinem Vater gehörte, Lucy bei der Post. Beide hatten niemals außerhalb von New Ulm gelebt, sprachen fließend Deutsch und fuhren jeden Sommer zum Wandern nach Deutschland. Die Zwillinge waren ihre einzigen Kinder.
Sie hatten die große Operation mit Maret besprochen, jedoch am meisten mit Weather zu tun gehabt, weil diese für die vorbereitenden OPs verantwortlich war.
»Was heißt das? Die Operation ist verschoben? Wie lange?«, platzte Lucy Raynes heraus. »Ich meine …«
»Wir packen es morgen an«, antwortete Weather und tätschelte ihren Arm. »Um die gleiche Zeit. Es ist absurd … Im Krankenhaus wimmelt es von Polizei. Den Mädchen geht’s gut. Für sie ändert sich nichts.«
»Ich kann es nicht glauben«, sagte Larry Raynes. »Jetzt, wo wir so weit waren …«
Seine Frau legte einen Arm um seine Taille und drückte ihn. »Es wird schon.«
Lucy interessierte sich für die Einzelheiten der Trennung, hatte Fachaufsätze über das Thema gelesen und mehrmals mit Vertretern des Fernsehens und der Printmedien gesprochen. Larry redete eher über den Zeitablauf und den Zustand der Kinder und wollte Weathers Einschätzung nach die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er war nicht dumm, fügte sich aber den teils von der Wissenschaft, teils vom Medienzirkus bestimmten Geschehnissen.
Maret hatte alle auf den Medienrummel vorbereitet. »Egal, wann wir es machen: Die OP ist ein gefundenes Fressen für die Presse. In Miami sind Reporter den Ärzten bis nach Hause gefolgt, haben an ihre Tür geklopft und ihnen auf der Straße aufgelauert.«
Zu Lucy und Larry Raynes sagte er jetzt: »Ich werde in ungefähr zehn Minuten mit den Journalisten reden. Es würde mich freuen, wenn Sie dabei wären.«
»Mach du das«, bat Larry Raynes seine Frau. »Ich bleibe bei den Kindern.«
Weather verabschiedete sich von ihnen und ging in den Umkleideraum, um wieder ihre Straßenkleidung anzuziehen.
Als sie zurückkehrte, hatte sich das Team praktisch zerstreut, und die OP-Schwestern schlossen den Raum. Weather unterhielt sich gerade mit einer Hygienetechnikerin, als Alan Seitz, einer der Kardiologen, der in die Notaufnahme gerufen worden war, mit geistesabwesendem Blick den Flur entlangkam. »Was ist?«, fragte ihn Weather.
»Dieser Don ist gestorben«, antwortete Seitz. »Einer der Räuber hat ihn mit Nierentritten ins Jenseits befördert. Er ist innerlich verblutet, bevor wir ihm helfen konnten.«
Weather drückte seinen Arm. Seitz und sie waren schon lange Kollegen. »Da ist man machtlos. Man tut, was man kann.«
»Ja.« Seitz sah sich um. »Mit Tritten getötet, im Krankenhaus . Verdammt noch mal …«
ZWEI
U m neun Uhr schlug Lucas Davenport endgültig die Augen auf. Nun war Weather vermutlich mit dem ersten Teil der Operation fertig, hatte einen der Expander entfernt und die ersten Schnitte entlang des Schädels ausgeführt. Wenn alles gelaufen war wie geplant, hatte sie gegen halb acht eine Tasse Kaffee getrunken, während der Kollege sich mit der Säge ans Werk machte.
Lucas blieb noch ein paar Minuten liegen und
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