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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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abholen?«
    »Ich komme selbst mit dem Auto.«
    »Oh«, kam es ihm ungewollt über die Lippen. »Wann?«, fragte er schnell.
    »20 Uhr. Bis dann.« Sie hängte auf und verdrehte die Augen. Was sollte das denn nur werden?
     
    *
     
    Er ärgerte sich. Ihre Eltern hätten es wahrscheinlich lieber gesehen, wenn er sie zu Hause abgeholt und wieder zurückgebracht hätte. Sonwik hörte er zum ersten Mal. Wo lag das überhaupt? Aber das würde das kleinste Problem sein. Er schüttelte seinen Ärger ab und ging ins Bad.
    Wie spät war es? Er sah auf die Uhr. Noch genug Zeit für ein Bier vorweg, dachte er. Was sollte er heute Abend anziehen? Lässig und cool wollte er aussehen. Er griff nach seinen frisch gewaschenen Jeans, einem weißen kurzärmeligen Poloshirt und seinem Lieblingspullover. Seine ausgeprägte Muskulatur kam in dem Hemd gut zur Geltung. Und der dunkelgraue Pullover, lässig über die Schultern geworfen, würde von Sportlichkeit, Respekt und zurückhaltendem Geschmack zeugen. Er verabscheute aufgeblasene, bunte Kleidung. Das modische Geckentum vieler seiner Artgenossen stieß ihn ab. Er würde sich nie freiwillig mit einem Männerduft einsprühen. Das erinnerte ihn an Schwule, mit denen er nichts zu tun haben wollte und in deren Gesellschaft er sich unwohl fühlte. Nicht einmal in eine auch nur andeutungsweise zu vermutende Nähe zu ihnen wollte er gerückt werden können.
    Als er sich im Spiegel betrachtete, war er mit seinem Outfit zufrieden. Er ging in die Küche und angelte sich eine Flasche Flensburger Pilsener aus dem Kühlschrank.
     
    *
     
    Sie hatte sich verquatscht. Nach dem Telefonat mit ihrer Crewkameradin hatte sie auf die Uhr gesehen und feststellen müssen, dass es höchste Zeit war. Schnell gestattete sie sich noch einen Spritzer ›Un jardin sur le toit‹, ein Luxus, den sie sich nicht immer gönnte und der sie auf einen gelungenen Abend einstimmen sollte. Dann angelte sie ihre Lieblingsjacke vom Garderobenhaken und eilte nach draußen. Sie mochte den großen Wagen. Er hatte Power und sportliche Eleganz. Zum Glück waren es nur ein paar Kilometer bis nach Sonwik. Dennoch musste sie sich beeilen.

Die Praktikantin
     
    »Steigen Sie ein und machen Sie die Tür zu. Wir sind spät dran.«
    Der Glatzkopf neben dem Fahrer hatte also das Sagen, dachte sie und tat, was von ihr verlangt wurde. Die Frau auf dem Rücksitz neben ihr schwieg. Die Begrüßung war sehr kurz gewesen. Danach hatten sie kein weiteres Wort mehr miteinander gewechselt.
    Sollte sie sich nun freuen oder nicht? Sicherlich hatte ihr alter Ausbilder den Job eingefädelt. Sie hatte bei ihm einen Stein im Brett. Sogar ihren Kollegen war das aufgefallen. Sie schmierten ihr das gern aufs Brot. Zum Schluss hatte er einen besonderen Bonbon für sie gehabt, wie sie ihm wohlwollend unterstellte. Sie selbst war sich nicht so sicher, ob es wirklich ein Bonbon werden würde.
    Absolut sicher war nur, dass sie zur Polizei wollte, zur Kriminalpolizei, um ganz genau zu sein. Sie war aus der Vorschule geflogen. Ihre Eltern empfanden ihren Rausschmiss als Makel, als eine Niederlage, die sie ihr übel nahmen. Sie waren wütend geworden und hatten sie bestraft. Sie selbst empfand ihn als eine Art Sieg, den sie aber lieber nicht hätte einfahren müssen. Die Erinnerung daran trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wollte partout nicht mehr daran denken. Wenn es sich aber nicht vermeiden ließ, flüchtete sie sich in einen trotzigen Stolz. Seitdem war kein Wunsch jemals wieder so stark in ihr geworden.
    Schon im Sandkasten waren ihr die zickigen Gören mit Zöpfchen und bunten Klamotten zuwider. Sie raufte sich gern, verlor aber bald jedes Interesse an ihren heillos unterlegenen Gefährtinnen und sah sich nach anderen Spielmöglichkeiten um. Jungs fand sie nicht interessanter. Sie versuchte zur Abwechslung, sich selbst das Lesen beizubringen. Ziemlich mühsam und ohne durchschlagenden Erfolg. Von den Anstrengungen erholte sie sich auf dem Skateboard. Der Balanceakt auf dem Brett machte ihr Spaß. Das Gefühl, etwas Kompliziertes bewegen und lenken zu können, begeisterte sie. Es dauerte nicht lange, bis sie das Board beherrschte und akrobatische Fähigkeiten entwickelt hatte. Nur mit dem Lesenlernen haperte es noch immer. In der Vorschule sollte es endlich klappen, hatte sie gedacht, und sie fieberte dem ersten Tag entgegen.
    Ihre Enttäuschung hätte nicht größer sein können. Gemütliches Frühstück im Stuhlkreis war nicht das, was sie wollte.

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