Mordsee
überraschst mich! Du machst dir doch sonst nichts aus Düften.«
»Ich entwickle mich eben. Dank deiner gütigen Mithilfe.«
Sie hatten gelacht.
Viele Worte hatte Jung nicht verloren und seine Gefühle und Gedanken für sich behalten. Sein Aufenthalt in Québec war aller Voraussicht nach kurz. So würde er nicht lange vermisst werden, wenn überhaupt. Ihre Tochter war kürzlich aus Japan zurückgekehrt. Es gab zwischen Mutter und Tochter noch unendlich viel zu erzählen.
Holtgreve hatte er, wie versprochen, telefonisch über die Lage informiert. Jung hatte es eilig gehabt. Sein Aufbruch stand unmittelbar bevor. Ihre Unterhaltung musste sich auf das Nötigste beschränken. Sein Chef hatte, wie zu erwarten, wenn der Polizeipräsident oder sogar der Generalstaatsanwalt im Spiel waren, Verständnis dafür aufgebracht. Dennoch hatte Jung den Eindruck, als hätte Holtgreve gern sehr viel mehr erfahren.
»Haben Sie den Polizeipräsidenten von mir gegrüßt?«, schloss er das kurze Telefonat ab.
»Leider hatte ich keine Gelegenheit dazu. Wenn ich ihn sehe, hole ich das Versäumte nach.«
»Ja, danke. Ich höre von Ihnen.«
»Selbstverständlich, Herr Holtgreve.«
»Gute Reise, Jung.«
»Danke, bis dann.«
*
Sein Chef war eigentlich ganz in Ordnung, selbst wenn er für Jungs Geschmack zu beflissen war, zu unterwürfig und willfährig. In letzter Zeit ertappte Jung sich dabei, das nicht weiter auf die Waagschale zu legen. Wie müsste denn überhaupt ein idealer Chef beschaffen sein?, hatte er sich gefragt. Seine Überlegungen führten ihn zu der Einsicht, dass Holtgreves größtes Plus darin bestand, nie Zufriedenheit unter seinen Leuten aufkommen zu lassen. Lob kam ihm so gut wie nie über die Lippen, und wenn, musste man vorsichtig sein, dass keine Unannehmlichkeiten folgten. Der Leitende erweckte niemals den Eindruck, als könne in seinen Augen irgendetwas jemals in Ordnung kommen oder auch nur einigermaßen richtig geregelt sein. Er wollte eben einfach nie in Vergessenheit geraten lassen, dass in dieser Welt überhaupt nichts in Ordnung war, unterstellte ihm Jung. Es gab überall Mord und Totschlag, wenige waren superreich, viele bettelarm, die einen erstickten am Überfluss, die anderen verhungerten auf offener Straße. Und es gab auf diesem Globus Länder, in denen es erlaubt war, öffentlich und unbehelligt den größten Stuss zu reden, und andere, in denen es nur bei Gefahr für Leib und Leben möglich war, simple Wahrheiten auszusprechen. Jung hatte sich angewöhnt, seinen Chef in diese Richtung zu interpretieren.
Er sah auf seine Uhr. Kurz vor neun. Hatte er alles beisammen, gab es noch etwas zu erledigen? Von Frau und Tochter hatte er sich nach dem Frühstück verabschiedet. Es war ihm recht, dass die Abschiedszeremonie so ausgefallen war, als mache er einen kurzen Trip nach Kiel ins Innenministerium, um seine Pensionsansprüche zu klären. Als er seinen Pass und seinen Dienstausweis in dem Bordcase verstaute, hatte er sich zum ersten Mal seit vielen Jahren an seine Dienstwaffe erinnert. Er wunderte sich. Er durfte keine Waffe, auch keine Dienstwaffe, mit an Bord nehmen, geschweige denn nach Kanada einführen. Er fragte sich, warum ihm gerade jetzt die Walther PPK eingefallen war. Jahrelang hatte er keinen Gedanken daran verschwendet.
*
Es läutete an der Haustür. Er warf seine Jacke über die Schulter, nahm seine Siebensachen auf und begrüßte unten den Fahrer, der ihn nach Rendsburg bringen sollte.
»Moin. Haben Sie mich ohne Probleme gefunden?«
»Moin. Kein Problem. Ich habe Navi an Bord. Privat. Dienstlich geht da ja nix. Geben Sie mir Ihre Sachen. Ich verstau sie im Kofferraum.«
»Bin ich der Einzige?«
»Ja. Wird eine sehr angenehme Fahrt werden«, quittierte der Fahrer Jungs Frage. »Auf der Herfahrt hatte ich jede Menge Verkehr. Auf der Gegenfahrbahn noch mehr. Skandinavier auf der Reise in den Süden.«
Jung verstand nur zu gut. Wenn die spritfressenden Womos und Wohnwagengespanne aus Schweden, Norwegen und Dänemark in den Süden aufbrachen, dann war höchste Vorsicht geboten. Wie entfesselte Dinosaurier stürmten sie die deutschen Autobahnen. Hatten sie Tempolimit und astronomische Preise hinter sich gelassen und die scheinbar paradiesischen Möglichkeiten südlich der Grenze erst einmal geschnuppert, musste man mit allem rechnen.
»Na dann! Horrido und Waidmannsheil«, seufzte Jung.
»Waidmannsdank«, erwiderte der Fahrer lachend.
Sie stiegen in einen blauen
Weitere Kostenlose Bücher