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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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nach.
    »Was?«
    »Na, den braunen Umschlag. ›Persönliche Personalangelegenheit‹, wenn meine Augen mich nicht täuschen.«
    Jung verharrte und drehte sich noch einmal zu ihr um. Sie ahnte, was er dachte.
    »Da vorne steht sie, die mit den kurzen, dunklen Haaren und den hellen Jeans. An der Abfertigung.«
    »Sie?« Jung machte eine Pause und sagte dann unwirsch: »Was soll das?«
    »Der Polizeipräsident schickt Ihnen jemanden zu Ihrer Unterstützung. «
    »Um die Damentoilette zu finden, brauche ich keine Unterstützung.«
    »Eine angehende Kriminalbeamtin. Ihr erstes Berufspraktikum«, mischte sich Halsbenning ein. Der Staatsanwalt grinste. Das war neu an ihm. Die schmalen Lippen hatte er über seine Zähne gezogen wie ein erregter Kampfhund.
    Jung brauchte eine Pause, um die Nachricht zu verdauen. Er fühlte sich hereingelegt. Warum hatte Holtgreve ihn heute Morgen am Telefon nicht informiert? Vielleicht hatte man ihn ebenfalls im Dunkeln gelassen, nahm er seinen Chef in Schutz. Jung schwieg ostentativ, wandte sich der Abfertigung zu und nahm die fragliche Person in Augenschein. Jetzt sah auch er, dass sie eine Frau war. Seine mangelnde Aufmerksamkeit wurmte ihn. Dass sie aus ihrer Weiblichkeit nichts machte, war keine Entschuldigung. Sie war groß, über einsachtzig, kräftig, makellose Figur, kurzer, kunstloser Haarschnitt. Ihr Gesicht war einprägsam und ungeschminkt. Sie trug ein weißes Sweatshirt, eine kurze, braune Lederjacke, beigefarbene Jeans und flache Schnürschuhe.
    Jung atmete auf. Ihr Anblick half ihm über den Schock hinweg. Sein Gepäck ergreifend, ließ er die Staatsanwälte wortlos stehen und ging zur Abfertigung hinüber.
    »Moin. Sie sind also das Geschenk meines Präsidenten. Angenehm«, begrüßte er die junge Frau und reichte ihr die Hand. Sie zögerte. Dann sagte sie steif: »Guten Tag.«
    Als er darauf nicht reagierte, fuhr sie ausdruckslos fort: »Ich mache ein Berufspraktikum. Ich bin abgeordnet, Kriminaloberrat Jung nach Québec … «
    »Der bin ich«, fiel Jung ihr ins Wort.
    »Charlotte Bakkens, angenehm.«
    »Jung.«
    Sie sahen sich in die Augen. Eine Pause entstand. Hübscher Name, dachte er. Warum hatte man ihn nicht informiert?, fragte er sich noch einmal. Die blöden Strippenzieher konnten ohne ihre miesen Angewohnheiten einfach nicht auskommen. Hatten sie nicht gehört, wie wichtig Kommunikation und Information waren? Überall war von Transparenz die Rede. Nur die Praxis richtete sich nicht danach.
    Zwischen ihnen kam Verlegenheit auf. Seine flotte Begrüßung hatte sie irritiert, dachte Jung. Zu Recht, wie er insgeheim zugab. Er war einfach zu leicht zu beeinflussen, zu coabhängig. Das war das Schlüsselwort, wenn von destruktiven Beziehungen zwischen Menschen die Rede war.
    »Entschuldigen Sie den Spruch«, versuchte er, die Situation zu entspannen. »Ich wollte eigentlich sagen, dass ich bis eben nichts davon gewusst habe.«
    Aha, beruhigte sie sich. Er ärgert sich. Würde mir auch so gehen.
    »Haben Sie schon eingecheckt?«, fragte Jung.
    »Ja, alles okay. Kein Problem.«
    »Den Koffer der Staatsanwältin auch?«
    »Ja, warum? Ist er etwa gefährlich?«
    »Eher zu schwer«, erwiderte er und grinste sie an.
    Sie grinste zurück, enthielt sich aber jedes weiteren Kommentars. Der Mann war vielleicht doch nicht ganz so unbedarft, wie man auf den ersten Blick vermuten konnte.
    Er trug eine Jacke, die schon viel zu viele Jahre auf dem Buckel hatte. Über seinen ausgelatschten Camperschuhen lugte ein schmaler Streifen schwarzer Socken hervor. Er war groß, das sprach für ihn, so zwischen einsachtzig und einsneunzig. Sein Gewicht schätzte sie auf allerhöchstens 80 Kilo, eher darunter. Sein insgesamt positiver Eindruck litt unter einem leicht gebeugten Rücken, so, als schleppte er eine unsichtbare Last mit sich herum. Sie musterte sein Gesicht. Er sah irgendwie gut aus, trotz der schmalen Lippen und der tiefen Falten rechts und links der Nase. Er gehörte zu den Älteren und war für absehbare Zeit ihr Chef. Dem ersten Anschein nach sollte das kein größeres Problem werden.
    »Dies hier brauche ich nicht«, unterbrach Jung sie in ihren Betrachtungen und wedelte mit dem braunen Umschlag vor ihrer Nase. »Ich will das gar nicht wissen.« Er bückte sich und stopfte den Umschlag in sein Bordcase. »Auf ›strengvertraulich‹ scheiß ich«, brummte er mehr zu sich selbst.
    »Okay, Chef. Wie Sie wollen«, erwiderte sie.
    Das Wort ›Chef‹machte Jung stutzig. Auf ihn

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