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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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gemünzt, hörte er die Anrede zum allerersten Mal. Er war unsicher, ob ihm das gefiel oder nicht. Er schob seine Irritation beiseite und sagte: »Es wird Zeit. Ich sollte die Formalitäten hinter mich bringen.«
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Nein, danke. Das bewältige ich noch allein.« Jung zeigte lächelnd auf seine Reisetasche und das Bordcase. »Wir sehen uns später. Wäre gut, wenn wir nebeneinander säßen. Wir könnten dann gleich mit dem Praktikum beginnen«, grinste er. »Bis dann.« Er wandte sich ab, nahm das Gepäck auf und reihte sich in die Schlange vor dem Check-in ein.
     
    *
     
    Ihr neuer Chef hatte sie überrascht. Bis jetzt hatte sie noch immer irgendwelche Reaktionen, und sei es nur ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln, zu spüren bekommen, wenn sie ihre Marotte durchgezogen hatte. Vielleicht würde der Flug doch ganz unterhaltsam werden. Bei dem Gedanken fühlte sie sich viel besser als noch vor einer Stunde im Auto, in Gesellschaft der unsympathischen Staatsanwältin und des unheimlichen Glatzkopfes.
     
    *
     
    Als Jung an der Reihe war, ging alles sehr schnell. Seine Tasche verschwand im Nu auf dem Laufband ins Jenseits der Abfertigungshalle. Seinen Gürtel musste er nicht lösen, wie noch vor Kurzem beim Aufbruch in den Urlaub, der ihm in schmerzlicher Erinnerung war. Blöde Sprüche musste er sich auch nicht anhören. Die Soldaten waren höflich und flink. Nur bei der Passkontrolle gab es einen kurzen Moment des Schreckens. Der Soldat blätterte das Dokument mehrmals durch. Zwischendurch blickte er auf und sah Jung prüfend an.
    »Ist was?«, fragte Jung besorgt.
    »Nein, ist schon in Ordnung«, entgegnete sein Gegenüber zögernd.
    »Irgendwas mit der Gültigkeit?«
    »Nein, nein. Alles in bester Ordnung. Kein Grund zur Besorgnis.«
    Er händigte Jung den Pass aus und wünschte ihm einen angenehmen Flug.

Die Nachricht
     
    Der Wind war am Abend abgeflaut. Sie machten immer weniger Fahrt. Kurz vor Mitternacht lagen sie noch südlich der Kanalinseln. Auf dem Weg zur Schanz hatte er im Kartenhaus auf den Navigationsmonitor geschaut und sich über Position und Fahrt informiert. Er machte das gern und oft. Die Brückenwache hatte sich daran gewöhnt und nahm in dem abgedunkelten Wachstand keine besondere Notiz von ihm. Er setzte sich an der Steuerbordseite auf die Bank am Klavier und starrte über die Reling und das in der Dunkelheit dahinschäumende Wasser. Die Sicht in der frischen Atlantikluft war ungetrübt. Am Horizont funkelten Lichter. Das musste die bretonische Küste zwischen Roscoff und Tregastel sein, dachte er. Voraus lag Jersey. Die Lichter würden bald am Horizont auftauchen.
    Ein Läufer berührte ihn an der Schulter.
    »Erwin, der Kommandant will dich sprechen. Er wartet unten in seiner Kabine auf dich.«
    »Okay, ich komme.«
    Der Läufer entfernte sich. Er erhob sich und sah noch einmal in die Runde. Die Segel standen optimal. Der Wind strich durch die Takelage und summte vor sich hin. Ab und zu killte eines der Rahsegel. Keine ungewohnten Geräusche. Kein Grund zur Beunruhigung. Er spürte den Flachmann in seiner Brusttasche, verzichtete aber auf einen Schluck. Auf dem Niedergang ins Offiziersdeck fragte er sich, was den Kommandanten bewegt haben mochte, ihn zu dieser späten Stunde zu sich zu rufen. Das war ungewöhnlich, überhaupt nicht seine Art. Ein leichtes Unbehagen machte sich in seiner Magengegend breit.
    Normalerweise folgte er dem Ruf seines Kommandanten gern. Der Kapitän brachte ihm eine Achtung entgegen, die sich aus einem Respekt nährte, den Männer haben, die viele Jahre auf See verbracht und gelernt hatten, sich unabhängig von Stand, Status und Aussehen wertzuschätzen. Im Munde des Kommandanten klang sein Vorname nie abwertend. Seine Ehre war niemals angetastet worden. Sie beide verband die lange Erfahrung mit einer strengen Ordnung, die jedem auf einem Schiff, und ganz besonders auf diesem Schiff, eine nützliche Aufgabe zuteilte und einen festen Platz zuwies. Der Kommandant auf seinem Posten als Führer des Schiffes und er auf seinem Posten als Helfer seines Kommandanten. Die Ordnung war über viele Jahrzehnte und auf langen Reisen über die Weltmeere gewachsen und hatte sich bei Sturm und Flaute bewährt.
    Die Kommandantenkabine unter dem Achterdeck war für ihn Sinnbild dieser Welt und erfüllte ihn mit Ehrfurcht. Die Wände und Decken waren mit dunklem Edelholz vertäfelt. Bulleyes ließen genügend Licht in die Kabine. Wenn er sie

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