Mordsee
viel? … Wann? … Okay, nach Reinschiff … Gut, Herr Kap’tän, bin schon unterwegs.«
Er hängte den Hörer zurück und beeilte sich, die Wünsche des Kommandanten zu erfüllen. Seine Hände zitterten und er vergoss etwas Kaffee. Abwesend starrte er die Lache auf der Arbeitsplatte an. Bis zur Kajüte des Kommandanten waren es nur ein paar Schritte. Es dauerte nicht lange, bis er zurück war.
*
»Die sind doch alle Schisser, Ina. Hast du gesehen, wie sie rumeiern, wenn sie in unsere Nähe kommen?«
»Den Eindruck habe ich nicht. Der 2. Segeloffizier ist in Ordnung. Sieht auch noch klasse aus.«
»Das tut Bastian auch. Wenn du auf sie zählst, bist du im Arsch. Aber ganz tief, Ina.«
»Die Offiziere müssen sich zurückhalten. Die kommen doch in Deubels Küche, wenn sie mit einer von uns was anfangen.«
»Sag ich ja. Alles Schisser: große Klappe, nix dahinter.«
»Gilt das auch für den hübschen Blondschopf von der Steuerbordwache, mit dem du in Glasgow rumgemacht hast?«
»Halt die Klappe, ja! Das geht dich einen feuchten Kehricht an.«
»Mein Gott, dir muss es ja echt schlecht gehen.«
»Scheiß was drauf, Ina, es gibt … «
Die Tür zur Dusche wurde aufgestoßen.
»Ah, sieh mal an, die Ärztinnen in spe. Wie immer gemeinsam in der Dusche. Das ist hier kein Spa, meine Damen. Maatin O. A. Schwarz, kommen Sie gefälligst auf die Beine. Haben Sie auch das Sieb herausgenommen und den Abfluss gereinigt?«
»Noch nicht, Herr Obermaat.«
»Dann wird’s aber Zeit. ASAPst, wenn ich bitten darf. In einer Viertelstunde ist Ronde. Sonst sind Sie doch auch immer so flott unterwegs. Attacke, die Damen!«
»Zu Befehl, Herr Obermaat!«, kam es lahm zurück.
*
Das war sie also, Ellen Schwarz. Der Name dröhnte in seinem Kopf. Er hatte das Gefühl, als würde sein Herz im nächsten Moment aufhören zu schlagen. Er würde den Namen niemals vergessen. Und Ina auch nicht.
Québec
Der kleine Gnom hatte tatsächlich Ernst gemacht. Nach nur wenigen Minuten, die sie auf Jung warteten, drängte er zum Aufbruch. Er wolle sofort zum Schiff gebracht werden, ließ Halsbenning den Fahrer wissen. Eingeschüchtert fügte der sich dem Diktat des Staatsanwaltes. Es stünde ja noch ein weiterer Wagen bereit, um zwei Techniker und ihre Kisten aufs Schiff zu schaffen. Der Kriminalkommissar könne auch dort mitfahren.
Entlang des St.-Lorenz-Stroms fuhren sie unterhalb der Altstadt von Québec in den Außenhafen. Das Schiff lag im Vieux-Port am Quai 19 direkt vor der Zollverwaltung. Charlotte erhaschte einen Blick auf das Chateau Frontenac, das sie von Fotos her kannte. Überhaupt kam ihr der Anblick der Stadt vertraut vor. Könnte auch Europa sein, dachte sie und freute sich auf ihre morgendlichen Joggingrunden.
Das Schiff enttäuschte sie. Neben den zwei gewaltigen Luxuslinern, die an der langen Pier nebenan am Ufer des Stroms vertäut lagen, wirkte der Segler mit seinen dünnen Masten und Rahen winzig und antiquiert, wie das Überbleibsel aus einer Zeit, die nur noch in den Obsessionen nostalgisch versponnener Männer lebendig war, und über das die Welt schon längst ihr abschließendes Urteil gesprochen hatte. Der nasse Tod der Kadettin kam ihr plötzlich irreal vor. Lächerlich. Einfach sinnlos. Hollywood fiel ihr ein und der ›Fluch der Karibik‹. Sie musste sich ins Bewusstsein rufen, dass das hier die Wirklichkeit war und nicht Johnny Depp und seine niedliche Piratenbraut.
Der Erste Offizier begrüßte sie am Fallreep und führte sie sogleich zum Kommandanten. Sein Logis war komfortabel, gemessen an der Enge, die ihnen auf ihrem kurzen Gang über das Schiff begegnet war. Der Mann gefiel ihr. Er war schlank und sehnig. Sie wusste auf der Stelle, dass er regelmäßig Sport trieb und ein Jogger sein musste. Sie spürte das so deutlich wie ihr eigenes Verlangen nach Bewegung und den schmerzlichen Mangel nach der langen Reise. Vielleicht würde sich eine gemeinsame Gelegenheit ergeben, dachte sie. Der Gedanke ließ sie lächeln.
Viel Vorgeplänkel gab es nicht. Sie begrüßten sich kurz und stellten sich gegenseitig vor. Halsbenning kam sofort zur Sache. Er rannte bei dem Kapitän offene Türen ein. Es schien ihr, als wollte der die missliche Angelegenheit ebenso schnell vom Tisch bringen wie der Staatsanwalt auch. Die Riedel hielt sich betont zurück. Die beiden waren ein eingespieltes Team. Er übernahm die Gesprächsführung: auf Abstand bedacht, bissig und unnachgiebig bis zur Gemeinheit.
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