Mordsfreunde
Sie mich bitte an.«
Elisabeth Matthes wohnte in einem jener alten Häuser, dessen Tage gezählt waren. Ein Schild im Vorgarten kündigte bereits den baldigen Abriss an. Als Bodenstein auf die Klingel drückte, wurde ihm beinahe in derselben Sekunde die Haustür geöffnet, als hätte die Nachbarin schon auf ihn gewartet. Frau Matthes führte Bodenstein in eine penibel aufgeräumte Küche. Sie war ungefähr Mitte siebzig, von schwerer Osteoporose gebeugt, aber der Blick aus ihren blauen Augen war scharf und wachsam. Zuerst befriedigte Bodenstein ihre Neugier, indem er ihr berichtete, dass Hans-Ulrich Pauly tot sei.
»Das war ja klar, dass es eines Tages so kommen musste«, sagte die Matthes-Else mit bebender Stimme. »Der hat sich ja auch mit jedem angelegt, der Pauly.«
Sie konnte das Gespräch zwischen Pauly und seiner Exfrau beinahe Wort für Wort wiedergeben, wusste noch die genaue Uhrzeit – kurz vor halb neun – und hatte auch den Mann erkannt, der Pauly etwa eine halbe Stunde später aufgesucht hatte.
»Ich war gerade im Garten, um die Blumen zu gießen, da hab ich den Pauly in seinem Vorgarten stehen sehen«, Frau Matthes stützte sich am Küchentisch ab. »Er hat sich überden Zaun mit dem Siebenlist vom Küchen Rehmer unterhalten. Das war einer von seinen Spezis. Wobei ...«
Sie legte die Stirn in Falten und dachte nach.
»Eigentlich haben sie gestritten. Der Siebenlist hat zum Pauly gesagt, er würde sich von ihm nicht mit alten Kamellen erpressen lassen.«
Aber Else Matthes hatte an dem Abend noch mehr beobachtet. Als sie gegen halb elf die Mülltonne an den Straßenrand geschoben hatte, war ein Mädchen mit einem Moped aus Paulys Hoftor geschossen, so schnell, dass es die Kontrolle verloren hatte und auf der Straße gestürzt war.
»Bei denen war ja immer Halligalli«, Frau Matthes war die Missbilligung in Person. »Wie im Taubenschlag. Rücksicht war für die ein Fremdwort. Die sind mitten ...«
»Kannten Sie das Mädchen mit dem Moped?«, unterbrach Bodenstein die Frau, bevor sie sich in unwichtigen Details ergehen konnte.
»Nein, die sehen ja alle gleich aus. Jeans, kurze Hemdchen, bei denen der halbe Bauch rausguckt«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Ich glaub, blond war sie.«
»Und was für ein ... Motorrad war das?«
Die Matthes-Else grübelte einen Moment, dann erhellte sich ihr faltiges Gesicht.
»Ein Roller!«, sagte sie beinahe triumphierend. »So nennt man die Dinger. Knallgelb. Wie von der Post.«
Dann schien ihr etwas Unglaubliches einzufallen. Sie beugte sich näher zu Bodenstein hin und senkte die Stimme zu einem Flüsterton.
»Meinen Sie, die hat den Pauly umgebracht, Herr Kommissar?«
Als Bodenstein um halb sechs im Kommissariat in Hofheim eintraf, hatten Kai Ostermann und Kathrin Fachinger schoneiniges über Hans-Ulrich Pauly in Erfahrung bringen können. Wie Zoodirektor Sander am Vormittag zu Pia gesagt hatte, hatte Pauly sich ausgiebig des Mediums Internet bedient, um seine Meinung zu allen möglichen Themen kundzutun.
»Wenn ihr mich fragt«, sagte Ostermann, »dann gab es jede Menge Leute, die ein Motiv hatten, den Kerl umzubringen.«
»Wieso?« Bodenstein zog sein Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne. Sein Hemd war völlig durchgeschwitzt.
»Ich habe seinen Namen gegoogelt«, Ostermann lehnte sich zurück. »Er war in zig Umwelt-, Natur- und Tierschutzbünden aktiv, hat sich gegen die Singvogeljagd in Italien starkgemacht, gegen die Castor-Transporte, er hat eine Klage wegen Feinstaub initiiert, gegen Schlachtpferdetransporte demonstriert. Eine seiner eigenen Webseiten heißt ›Tiere ohne Gitter‹, kurz ToG.«
»Kein Wunder, dass Pauly für den Direktor vom Opel-Zoo ein rotes Tuch war«, bemerkte Pia trocken.
»Aber das ist nur das eine«, sagte Ostermann. »Pauly hat noch eine andere Webseite, die sich Das Kelkheimer Manifest‹ nennt, und da wettert er gegen alles, was ihm in Kelkheim nicht passt. Im Moment hauptsächlich gegen den geplanten Ausbau der B8, aber auch gegen die neue Stadtmitte Nord, die Bebauung des Varta-Geländes und so weiter. Er beleidigt ein paar Leute richtig übel.«
»Wen zum Beispiel?«, fragte Bodenstein.
»Den Kelkheimer Bürgermeister Dietrich Funke, einen Mann namens Norbert Zacharias, der wohl für den B8-Ausbau zuständig ist. Und noch jemand namens Carsten Bock ...«
»Bock?«, unterbrach Pia ihren Kollegen. »Der hat doch bei Pauly etwas auf den Anrufbeantworter gesprochen! Pauly sollte sich wegen
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