Mordsgefluester
gern Befehle, selbst wenn sie von meiner Mom stammen, die ihm normalerweise eine Höllenangst einjagt. »Ich bleibe auch«, erklärte er mit der Pass-bloß-auf-Bullenstimme, die so typisch für ihn ist.
Trotz meiner halb geschlossenen Augen konnte ich sehen, wie sie sich mit Blicken duellierten. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich die Schlacht mit Interesse verfolgt, aber im Moment sehnte ich mich nur nach Ruhe und Frieden. »Niemand braucht hierzubleiben. Ihr müsst alle morgen arbeiten, darum solltet ihr alle heimfahren. Ich komme schon zurecht, ehrlich.« Man merke: Wenn jemand »ehrlich« sagt, lügt er praktisch immer, so wie ich in diesem Moment.
»Wir bleiben beide«, stellte Wyatt fest, ohne auf mein falsches Ehrenwort und meine tapfere Versicherung einzugehen. Ich schaute nach unten, um festzustellen, ob sich die Umrisse meines Körpers aufgelöst hatten, weil sich alle aufführten, als wäre ich gar nicht da. Erst hatte ich eine gefühlte Stunde auf dem Schmodderparkplatz gelegen, ohne dass mich jemand bemerkt hätte, und jetzt schien mich niemand zu hören, wenn ich sprach.
»Bestimmt bin ich unsichtbar geworden«, murmelte ich vor mich hin.
Dad tätschelte meine Hand. »Aber nein, wir machen uns nur alle schreckliche Sorgen«, sagte er ruhig und raubte mir damit meinen ganzen Schneid. Er schafft das regelmäßig, aber andererseits hat er einen extrem scharfen Instinkt, was mich angeht, vielleicht weil ich Mom so ähnlich bin. Ich fürchte, dass Wyatts Instinkt nicht weniger scharf ist, womit ich keine Probleme mehr haben werde, wenn wir erst gut dreißig Jahre verheiratet sind wie Mom und Dad, aber während wir noch darum kämpfen, wer obenauf ist, bringt mich das irgendwie in die Defensive, darum muss ich immer auf der Hut sein. In dieser Hinsicht ist Wyatt Lichtjahre weiter als Jason, dessen Blick nie über den Blondschopf und Knackarsch hinausging – seinen eigenen wohlgemerkt.
Jason ist in gewisser Hinsicht wie diese große, über Treppenstufen hüpfende Spiralfeder, die wir als Kinder hatten – wenn ich mir vorstellte, wie er die Treppe hinunterpurzelt, musste ich unwillkürlich lächeln.
Jedenfalls, zurück ins Krankenzimmer. Mommy hatte in Windeseile alle anderen aus dem Raum gescheucht. Dad und meine Schwestern wurden weggeschickt, weil es schon fast zwei Uhr morgens war und keiner bis dahin ein Auge zugetan hatte. Ihr und Wyatt war die Nervosität anzusehen, beide hatten diesen angespannten, leicht schattigen Blick – aber damit sahen beide immer noch um Längen besser aus als die Dritte im Raum, nämlich ich.
Eine Schwester kam herein, um nachzusehen, ob ich schon schlief, und um mich aufzuwecken, falls ich es tat. Weil ich nicht schlief, maß sie meinen Blutdruck und Puls und rauschte wieder ab, nicht ohne fröhlich zu versprechen, dass sie in spätestens zwei Stunden wieder vorbeikommen würde. Abgesehen von den grauenvollen Kopfschmerzen ist dies das Schlimmste an einer Gehirnerschütterung: Sie – damit ist der medizinische Stab gemeint – wollen dich nicht schlafen lassen. Oder anders ausgedrückt, es ist okay, wenn du schläfst, solange sie dich aufwecken können und du sofort weißt, wo du bist und so weiter. Das bedeutet Folgendes: Bis sie deinen Puls gemessen und dir alle Fragen gestellt haben und du dich wieder beruhigt hast und eingenickt bist, kommt schon die nächste Schwester durch die Tür gesegelt, und der ganze Zirkus fängt von vorne an. Ich sah eine lange, rastlose Nacht vor mir.
Wyatt bot Mom den Stuhl an, der sich zu einem schmalen, unbequemen Bett umklappen ließ, und sie nahm widerspruchslos an, um wenigstens eine Mütze voll unruhigen Schlaf abzubekommen. Er zog den hohen Besucherstuhl an mein Bett, ließ sich darauf nieder, fasste durch das Seitengitter und nahm meine Hand. Als er das machte, kam mein Herzschlag ins Schlittern und Stolpern, weil ich ihn so liebe und er genau wusste, wie dringend ich diesen kleinen, stillen Zuspruch brauchte.
»Ruh dich aus, wenn du kannst«, murmelte er.
»Was ist mit dir?«
»Ich kann hier schlafen. Ich bin eigenwillige Schlafzeiten und ungemütliche Stühle gewöhnt.«
Damit hatte er recht – immerhin war er ein Cop. Ich drückte seine Finger und versuchte es mir gemütlich zu machen, was blöderweise nicht möglich war, weil mein Schädel so pochte und die diversen Schürfwunden brannten. Trotzdem schloss ich die Augen, und meine alte Gabe, überall und jederzeit schlafen zu können, ließ mich auch diesmal nicht
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