Mordsgefluester
Arbeit erschien. Wyatt hatte nicht erwähnt, dass ich nicht sprechen konnte, als er am Morgen mit ihr telefoniert hatte. Sie hatte solches Mitleid mit mir, weil ich nicht einmal flüstern konnte, dass sie nach Arbeitsende zu einem Naturkostladen fuhr und mit einer Auswahl an Tees zurückkehrte, die angeblich gegen einen entzündeten Rachen helfen sollten. Sie bot mir sogar an, länger zu bleiben und mir zu helfen, aber ich schickte sie weg. Falls ich einen Sprecher brauchte, war Wyatt zur Stelle.
Alles in allem war es ein netter, ganz gewöhnlicher Tag im Great Bods. Auf der anderen Straßenseite parkten keine weißen Malibus; keine durchgeknallten Blondinen schleuderten Brandsätze durchs Schaufenster. Es war ein Tag, wie er mir gefiel, der ideale Puffer, um wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Trotzdem hatte ich das Gefühl, am Rande eines Abgrunds zu stehen, und musste mir innerlich immer wieder gut zusprechen, um nicht abzustürzen. Ja, meine Wohnung war ausgebrannt, aber immerhin war niemand gestorben. Ja, ich hatte meinen gesamten persönlichen Besitz verloren, aber hey, immerhin waren meine Haare nicht angesengt worden. Ja, die Skrupellosigkeit meiner unbekannten Verfolgerin und Möchtegernmörderin war beängstigend, aber inzwischen wusste ich wenigstens, wie sie aussah, und ich war so verflucht sauer auf sie, dass ich mich auf sie hechten würde, wenn sie mir irgendwo über den Weg lief – es sei denn, Wyatt sperrte mich wieder in einen stinkenden Streifenwagen.
Es fiel mir nicht leicht, meinen Ärger darüber zu verwinden.
Er tigerte durch das Studio wie der typische Bulle und kontrollierte immer wieder die Straße, den Parkplatz, das Gebäude. Ich überließ es einer meiner Trainerinnen, ans Telefon zu gehen, was sich als glückliche Fügung erwies, weil sie ganz aufgeregt reagierte, als ich per Stift und Papier erwähnte, dass wir eine stellvertretende Geschäftsführerin suchten, und mich fragte, ob sie sich eventuell bewerben könne.
Tja, wer hätte das gedacht. Ihr Name war JoAnn, sie war ehrlich gesagt die am wenigsten beliebte Trainerin, weil sie so kühl und distanziert wirkte. Dabei war sie eine meiner kundigsten Angestellten. Sie verfügte über keinerlei Büroerfahrung, aber es gefiel mir gut, wie sie sich am Telefon verhielt. Selbst wenn sie nicht wusste, was zu tun war, klang sie, als wüsste sie Bescheid, fast wie ein Politiker. Ich würde ganz bestimmt mit Lynn über sie sprechen.
Ob es die Kräutertees waren oder die Ruhe, die ich meinen Stimmbändern gönnte, gegen Abend fiel mir das Schlucken wieder leichter. Dafür war ich so hungrig, dass mir schon übel war, weshalb JoAnn zu einem Hamburgerladen fuhr, wo sie für Wyatt einen Burger mit Pommes besorgte und für mich einen schönen dicken Erdbeer-Milkshake, mein Lieblingsgeschmack. Das kühle Getränk wirkte genauso besänftigend auf meine Kehle wie zuvor der heiße Tee.
Es war Donnerstag und damit bis auf die Stunde fast eine Woche nach meinem ersten Zusammenstoß mit der Rasenden auf Rädern. Eigentlich sollten heute die Fäden aus der Narbe unter meinem Haaransatz gezogen werden, fiel mir plötzlich ein. Ich tastete unter meinen Haaren nach den Fäden. Sie fühlten sich steif und trocken an, während aus der Haut rundum neue, stachlige Haare sprossen.
Wie kompliziert konnte es sein, Fäden zu ziehen? Ich hatte mir schon früher Fäden ziehen lassen, es hatte nie besonders wehgetan, höchstens ein bisschen geziept, also konnte der Vorgang kein Hexenwerk sein. Nagelscheren hatte ich in meinem Büro, und eine Pinzette lag im Notfallkoffer. Ich musste die Fäden ziehen. Damit ich mit dieser Episode abschließen konnte. Ja, ich hatte mir dafür einen tollen neuen Haarschnitt gegönnt, aber alles in allem hätte ich auf das Erlebnis verzichten können.
Ich nahm alles Notwendige mit auf die Damentoilette, nur um zu entdecken, dass mir die Haare immer wieder in die Quere kamen; sie wollten unbedingt in jener tollen Welle, die Shay mir verpasst hatte, nach vorn schwingen. Haarklammern hatte ich nicht im Studio, dafür aber ein paar Haargummis im Schreibtisch. Ich sauste aus der Damentoilette in mein Büro, schnappte mir einen Haargummi und sauste wieder zurück. Wyatt bemerkte mich und rief: »Hey!«, aber ich winkte ihm nur zu und sauste weiter. Wahrscheinlich nahm er an, dass ich dringend auf die Toilette musste.
Nur dass er mir folgte, als ich gerade den dritten Stich durchtrennte.
»Heilige Scheiße! «
Ich zuckte
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