Mordskerle (German Edition)
gebrauchen war.
„Nur Sylvia Herzig hat also das Ferienhaus drüben noch manchmal genutzt“, fasste sie aus dem zusammen, was Annelie anfänglich erzählt hatte.
„Eher selten“, ahnte Annelie. „Wahrscheinlich hat Sofie sie irgendwann mal gebeten, nach dem Häuschen zu schauen, wenn sie am Wochenende nichts anderes vorhatte. Ich weiß, wie Sofie sein kann. Sie richtet einen Mitleid erregenden Appell an ihre Mitmenschen, die ihr prompt ohne zu zögern sofort alles zusagen, obwohl sie eigentlich gar keine Lust dazu haben. Aber wer konnte Sofies flehentlich drein blickenden Rehaugen jemals widerstehen?“
Lena war in Gedanken schon weiter. „Breidbach hatte also Verbindung zu den Beers“, konstatierte sie. Dann drehte sie sich jäh mit einem Ruck zu ihrer Mutter um, in ihrem Blick lag ein Funkeln. „Möglicherweise auch zu – Inken?“
„Das ist ekelhaft“, sagte Inken angewidert – sie wusste nicht, zum wievielten Mal. „Schlichtweg ekelhaft.“
Sie hatte Recht. Der Oberkommissar nickte und drückte damit gewissermaßen seine Anteilnahme aus. Sehr viel mehr konnte er auch nicht tun, während Inken durch das riesige Haus wanderte, ein ums andere Mal entsetzt zurück zuckte und gleichzeitig sprachlos angesichts des Mülls, Drecks und Geruch war, der sich in allen Räumen ausbreitete.
Irgendwann presste die junge Frau zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Ich ging davon aus, es sei eingebrochen worden. Aber ich glaube nicht, dass etwas fehlt. Was war eigentlich hier los?“
Vonhoff blieb stehen und lehnte sich gegen die Galerie, von wo aus man in die große Halle hinunter blicken konnte. Nachdenklich musterte er die junge, knabenhaft schmale Frau im dunkelblauen Nadelstreifenanzug, um schließlich gedehnt zu erwidern:
„Genau wissen wir das auch nicht. Noch nicht. Wir gehen zurzeit davon aus, dass hier fast regelmäßig irgendwelche Leute fröhliche Feste gefeiert haben. Dazu mussten sie nicht einmal gewaltsam eindringen. Der Haustürschlüssel lag immer sehr ordentlich unter dem Blumenkübel gleich um die Ecke.“
Inken schoss Röte ins blasse Gesicht. „Heißt das, hier wurden… Orgien…?“
„Eher nicht, nein. Danach sieht es nicht aus“, gab der Kommissar sachlich zurück. „Wahrscheinlich hat man sich lediglich bis zur Besinnungslosigkeit voll laufen lassen und anschließend seinen Rausch ausgeschlafen. Ebenso wahrscheinlich ist, dass man Marihuana geraucht und Koks geschnupft hat, aber die wirklich harten Sachen kaum mal.“
„Wer sagt das?“ Inkens Stimme konnte sehr rasch sehr scharf klingen, und das geschah jetzt.
Vonhoff zeigte sich davon unbeeindruckt. „Das sagt uns bis jetzt noch keiner, es gibt aber ausreichend Spuren.“
„Sie haben Spuren gefunden?“
„Hunderte. Viel zu viele“, war Vonhoff ehrlich. „Nur die wenigsten davon werden sich einwandfrei auswerten lassen. Um Irrtümer auszuschließen, müssen wir auch von Ihnen und Ihrer Familie Fingerabdrücke nehmen.“
Inken nickte, während sie gleichzeitig ihre Hände in den Taschen ihres Blazers vergrub. „Natürlich. Meine Eltern und ich sind zwar seit Jahren nicht mehr hier gewesen, aber unsere Fingerabdrücke findet man bestimmt noch überall. Und die von den Leuten, die an den Wochenenden bei uns zu Gast waren. Bis auf Axel“, erinnerte sie sich plötzlich. „Der war noch nie hier.“
„Axel?“ hakte Vonhoff nach.
Sie lächelte kurz. „Mein Mann. Ich bin seit zwei Jahren mit Axel Lentz verheiratet. Da war die Ostsee allerdings für unsere Familie schon längst kein Thema mehr. Vater gefiel das Apartment auf Sylt besser, und meine Mutter blieb sowieso lieber zu Hause.“
„Und Sie?“
Jetzt lachte sie geradezu fröhlich. „Oh, da bin ich meinem Vater ähnlich. Die Ostsee ist langweilig, wenn man die Westküste mal bei einem Segeltörn richtig kennen gelernt hat.“
Vonhoff sah eine Weile den Kollegen von der Spurensicherung zu, die bei ihrer Arbeit in der Halle angekommen waren. Dann fragte er Inken, ohne den Blick zu heben:
„Warum hat Ihre Familie dieses Haus eigentlich nicht schon vor Jahren abgestoßen?“
Ihr Gesicht verschloss sich wie eine Auster. „Diese Entscheidung kann nur meine Mutter treffen. Vater hat ihr das Haus damals geschenkt, und deshalb bestimmt sie, was damit passieren soll.“
„Warum ist dann Ihre Mutter nicht hier?“
Inken machte eine achtlose Handbewegung. „Wenn Sie sie kennen lernen, werden Sie merken, dass sich diese Frage zurzeit nicht stellt. Meine
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