Mordskerle (German Edition)
ernüchtert. Axel brachte in die Ehe mit Inken soviel eigenes Geld mit, dass er es gar nicht nötig hatte, zu arbeiten – nicht einmal für Inken und die Beer AG oder sonst jemand.
Lena erhielt den Anruf im Auto, als sie sich mit ihrem Porsche auf halber Strecke zwischen Schleswig und Kiel befand, und weil die Informationen, die man ihr über das Mobiltelefon zukommen ließ, spärlich waren, begriff sie zunächst gar nichts. Schließlich glaubte sie jedoch, genug gehört zu haben, um sich wieder einmal wegen Annelie Sorgen machen zu müssen.
Mein Gott, würde ihre Mutter denn nie erwachsen werden? fragte Lena sich resigniert, während sie sich in rasantem Tempo in den fließenden Verkehr auf der Autobahn einreihte und konsequent bis zur Abfahrt-Süd auf dem linken Fahrstreifen blieb.
Als sie den kleinen Ferienort an der Ostsee erreichte, hatte sich der Sturm der letzten Nacht längst zur Ruhe gelegt. Die See machte nicht mehr Geräusch als eine schnurrende Katze am Ofen. Am wolkenlosen Himmel glänzte die Sonne, in deren Licht die Segel der Boote weiter draußen so grell leuchteten, dass Lena diesen Anblick ohne Sonnenbrille gar nicht aushielt.
Der Himmel, der Strand, die Segelboote, das Wasser, das alles wurde für sie zu einem unerträglichen Übermaß an Licht, vor dem sie ins Haus floh. Kaum in der Diele angekommen, konnte sie schon Annelies Lachen hören. So zu lachen war merkwürdig für jemand, der angeblich die Ereignisse der vergangenen Nacht nur mit Mühe und Not überstanden hatte, fand Lena, öffnete die Tür zum Kaminzimmer und sah ihre Mutter in einem Sessel sitzen, ihr gegenüber auf dem kleinen Sofa ein Mann, der unwesentlich älter als Lena zu sein schien.
Annelie erweckte indes den Eindruck, als hätte sie soeben erfahre, für den Nobelpreis nominiert worden zu sein. Lena glaubte auch den Grund dafür zu kennen. Ihre Mutter blühte nur in der Gegenwart eines neuen Liebhabers derart auf, und der dort auf dem Sofa hockte, zappelte längst in ihrem Netz.
Sieht aus wie ein Dressman! wütete Lena innerlich. Noch einer der gestylten Mordskerle, die so prächtig in Annelies Beuteschema passten…
„Da kommt meine Tochter“, sagte Annelie, als Lena in der Tür erschien. „Lena, stell dir vor, ich werde gerade verhört“, fügte sie dann so glücklich hinzu, als widerfahre ihr damit eine ganz seltene Ehre.
„Angehört, Frau Klüver, lediglich angehört“, korrigierte der junge Mann auf dem Sofa, während er Lena prüfend entgegen sah.
„Angehört“, wiederholte Annelie brav. Weil sie gleichzeitig vom Gesicht ihrer Tochter ablesen konnte, was die dachte, erklärte sie rasch: „Das ist der Hauptkommissar.“
„Wir wollen nicht übertreiben“, meinte der junge Mann trocken. „Oberkommissar reicht völlig.“
„Oberkommissar Vonhoff von der Kripo“, sagte Annelie, immer noch strahlend wie eine Idiotin, wie Lena fand.
„Was ist denn passiert?“, wollte sie wissen, während sie sich umsah, als müsste in irgendeiner Ecke ein Bösewicht wie auf sein Stichwort auftauchen, denn wie sonst war die Anwesenheit dieses Oberkommissars zu erklären?
„Ich bin niedergeschlagen worden“, antwortete Annelie, wobei sie in falscher Bescheidenheit den Blick senkte. In Wirklichkeit genoss sie es natürlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Im nächsten Satz erfuhr Lena dann auch, dass sich bereits eine Journalistin von der Regionalpresse angekündigt hatte, und schon sah sie die Titelseite der morgigen Ausgabe vor ihrem geistigen Auge:
„Hamburger Millionärswitwe in mysteriösen Überfall verwickelt!“
Annelie berichtete nun ihrer Tochter genüsslich und mit unübersehbarer Sensationslust im glitzernden Blick von ihrem nächtlichen Ausflug zum Ferienhaus der Familie Beer, ohne dabei ein Detail auszulassen.
Dem Oberkommissar war anzusehen, dass er nichts dagegen hatte, endlich einmal einer Zeugin zuhören zu dürfen, die mehr sagte als sie gefragt worden war und obendrein, trotz einer schmerzhaften Verletzung, nicht daran dachte, nachträglich einen Weinkrampf zu bekommen, weil Schock und Entsetzen noch zu tief saßen.
Lenas Mund wurde immer schmaler, je länger sie Annelie lauschte. „Kannst du mir erklären, was du mitten in der Nacht auf einem fremden Grundstück wolltest?“, fasste sie dann in einer einzigen Frage die ganze Absurdität der Aktion zusammen.
Sofort nickte Annelie etwas bekümmert.
„Das wollte der Kommissar auch schon wissen. Ich bin spazieren gegangen.“
Du?
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