Mordskerle (German Edition)
nach der bedauernswerten Annelie, um anschließend in einem unnachahmlichen Einzelvortrag zu erörtern, ob man inzwischen von einem Serienmörder reden konnte, der an der Ostsee sein Unwesen trieb.
Lena hörte ihr schon sehr bald gar nicht mehr zu. Stattdessen fiel sie immer wieder völlig haltlos in Axels schöne hellblaue Augen wie in einen tiefen See, der so unergründlich war, dass man die wirkliche Tiefe niemals erreichte. Den penetranten Geruch der Pferde nahm sie überhaupt nicht mehr wahr, die kuriosen Hüte der Frauen ärgerten sie nicht mehr, ja, eigentlich befand sie sich mit einem Mal in einer ganz anderen Welt…
Axel plauderte liebenswürdig mit halblauter Stimme. Dabei beugte er sich manchmal vor, um Lena ins Gesicht zu schauen, wenn er etwas besonders nachdrücklich meinte, während sie nur dasaß, ihn ansah und nicht älter als Vierzehn oder Fünfzehn war.
Sie wurde erbarmungslos aus ihrem Traum gerissen, als sie ihren Blick nur ein einziges Mal von Axel losriss, weil sie fand, dass sie ihn unangemessen anstarrte und das schon minutenlang – und ausgerechnet da tauchte Inken unten am Fuß der Treppe zur Tribüne auf.
Inken, offiziell noch „in Trauer“ wegen ihres verstorbenen Vaters, hielt sich in der Farbe ihrer Garderobe bedeckt: Sie erschien in Hellgrau, und auch ihr kleiner Hut, der einen halben Schleier und die Form einer Banane hatte, war grau. Doch das war es nicht, was Lena wie mit einem Paukenschlag aus ihrem geistigen Vakuum weckte.
Inken war nicht allein. Sie sprach mit einem großen, breitschultrigen Mann, den Lena nur einmal gesehen hatte und da auch nur im Halbdunkel der Halle in der Breidbach-Villa. Sie brauchte die Stimme dieses Mannes gar nicht zu hören, um zu wissen, dass sie sehr tief war, so tief, dass es sie immer noch fröstelte, sobald sie sich nur daran erinnerte.
„Geht es Ihnen nicht gut?“, erkundigte Axel sich besorgt. „Sie sind plötzlich etwas blass.“
„Die Sonne“, sagte Sylvia, die immer auf alles eine Antwort hatte.
Ja, die Sonne, nickte Lena, um sich gleichzeitig mit einer hastigen Entschuldigung zu erheben. Sie floh vor dem Champagner, vor Axel und Sylvia und dem Derby in die Katakomben der Tribüne.
„Nanu, Frau Klüver. Sie auch hier?“
Wenn Lena gehofft hatte, unerkannt und unentdeckt zu bleiben, so irrte sie gewaltig. Unvermittelt sah sie sich dem jungen Kommissar gegenüber, an dessen Name sie sich nicht mehr erinnerte, der seinerseits sie nicht vergessen hatte.
„Ich vertrete heute meine Mutter“, antwortete sie rasch, woraufhin der Kommissar eine Augenbraue hob.
„Tatsächlich? Auf mich machen Sie eher den Eindruck, als ob Sie vor irgendjemand oder irgendetwas weglaufen.“
Sie wurde bockig. „Und wenn es so wäre? Ist das neuerdings verboten?“
Vonhoff grinste. „Nein. Aber es weckt meine Neugier. Wenn es denn so wäre. Ist es so?“
„Selbstverständlich nicht“, gab Lena gereizt zurück. „Mir ist schlecht. Axel Lentz hat Sylvia und mir Champagner spendiert und ich habe mindestens vier Gläser getrunken…“
„Fünf“, korrigierte er sie freundlich.
„Haben Sie mich beobachtet?“ Sie war empört, brachte ihn jedoch mit ihrer Frage nicht einmal andeutungsweise in Verlegenheit.
„Natürlich“, erwiderte er trocken. „Es gehört zu den Pflichten der Polizei, wichtige Zeugen im Blick zu behalten.“
„Seit wann bin ich eine wichtige Zeugin?“, regte sie sich auf.
Vonhoff, höchstwahrscheinlich der Einzige, der zum Derby nicht in edlem Anzug, sondern in Jeans sowie einer reichlich abgetragenen Wildlederjacke über einem weißen T-Shirt erschienen war und dennoch überhaupt nicht wie ein schnöder Polizist aussah, antwortete nüchtern:
„Das waren Sie von Anfang an. Sie haben Dr. Max Breidbach gefunden – sollten Sie das schon vergessen haben?“
Lena schluckte leicht. „Sie wissen… Woher?“
Er zuckte nicht mit der Wimper bei seiner Antwort: „Mir ist klar, dass die meisten Leute die Polizei für blöd halten, aber natürlich sind wir das nicht. Wir stellen Zusammenhänge her, Frau Klüver, wir sind vernetzt und forschen nach, wir vergleichen Fakten und Daten mit Fällen anderer SOKOS.“
Lena war kleinlaut geworden. Wie viel wusste dieser Mann? Was konnte sie noch sagen, ohne sich oder Annelie zu belasten? Er schien zu ahnen, was in ihr vorging, denn er fuhr bereits fort:
„Sie haben den Kollegen oben in Schleswig nicht die Wahrheit gesagt, Frau Klüver. Sie waren nicht unterwegs zu Breidbach,
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