Mordskerle (German Edition)
entschlossen den Kopf, um ihre Mutter anzusehen. „Ich denke, Sofie ist das schwächste Glied in der Kette und redet wahrscheinlich am ehesten. Aus Inken kriegen wir kein Wort heraus. Die ist hart wie Stahl.“
„Sofie hat sich seit Bernhards Tod total zurück gezogen“, erinnerte Annelie.
„Aber sie verlässt doch wenigstens hin und wieder das Haus?“, hoffte Lena. „Früher sah man sie doch manchmal beim Tennis am Rotenbaum oder beim Golf.“
Annelies Gesicht bekam plötzlich etwas Listiges. „Ich könnte sie anrufen und bitten, mich an Bernhards Grab zu treffen.“
„Dazu wärst du fähig?“
„Ich bin so ziemlich zu allem fähig“, nickte Annelie ohne die geringsten Gewissensbisse. „Selbst, wenn ich mich dazu auf den Ohlsdorfer Friedhof begeben muss. Du weißt, ich hasse Friedhöfe. Ich finde, es ist einfach nicht der geeignete Ort für eine Frau wie mich – in der Blüte meiner Jahre, vital, attraktiv und…“
„Gib nicht so an, Mutter“, unterbrach Lena sie, ehe Annelie das Loblied auf die eigene Person um weitere Attribute verlängern konnte. „Ruf Sofie an und verabrede dich mit ihr am Grabe ihres Gatten. Heuchle Trauer und Mitgefühl, auch, wenn es dir schwer fällt, weil du – wie ich weiß – Bernhard nie besonders geschätzt hast.“
Annelie wurde vorwurfsvoll. „Es war ja nur, weil er nicht aufhörte, andauernd seine Hand auf mein Knie zu legen. Komisch, dass dieser Mann nie seine Hände unter Kontrolle halten konnte. Dein Vater fand das gar nicht witzig.“
„Nun ist er tot, der arme Bernhard“, fasste Lena halblaut zusammen. „Und wir sind dem Geheimnis seiner Familie auf der Spur – hoffe ich jedenfalls“, fügte sie halblaut hinzu und stellte gleichzeitig fest, dass der ganze Satz unnötig dramatisch klang.
18. Kapitel
S ofie war eben im Begriff, das Haus zu verlassen, als Annelies Anruf sie erreichte. Das hatte zur Folge, dass Annelie, durch die verletzte Schulter immer noch etwas gebremst in ihren Bewegungen, sich irgendein Kleid überwerfen und, während sie noch nicht einmal den Reißverschluss geschlossen hatte, ins Auto springen musste, um Sofie nicht zu lange warten zu lassen.
Also rauschte Annelie in ihrem Citroen von Uhlenhorst hinüber nach Ohlsdorf. Frühsommerliche Hitze lag wie eine Glocke über der Stadt, sodass Annelie, als sie den Friedhof erreichte, bereits in Schweiß gebadet war. Ohlsdorf – hier hatte man es mit dem größten europäischen Friedhof zu tun, der weit über hundert Jahre alt war und den man im Laufe dieser Zeit immer weiter zu einer großartigen Parkanlage gestaltet hatte. Annelie vertrat seit jeher die Ansicht, dass sie sich durchaus an diese herrliche Anlage hätte gewöhnen können, wenn es nicht ausgerechnet ein Friedhof gewesen wäre.
Als sie den Haupteingang an der Fuhlsbütteler Straße durchschritt, war es früher Nachmittag. Es regte sich kein Blatt, so schwer war die Luft hier heute. Annelie strebte eilig an einer alten, ganz in Schwarz gekleideten Frau vorbei, die auf einem Campingstuhl an einem Grab saß und stumme Zwiesprache mit ihren Toten hielt. Unwillkürlich beschleunigte Annelie ein weiteres Mal ihr Tempo. Andacht und Innehalten war ihre Sache nicht, waren es nie gewesen und würden es auch in Zukunft nicht sein.
Zurzeit konnte sie sich ohnehin nicht mit dem Leben und Sterben des Menschen im Allgemeinen wie im Besonderen auseinandersetzen, denn es arbeitete mächtig in ihr. Sie glühte nicht nur wegen der großen Hitze, sondern auch vor Wissbegier und Tatendrang. Daran vermochte selbst ihre schmerzende Schulter sie nicht zu hindern.
Immer wieder hatte sie den kraftvollen, vitalen Bernhard Beer vor Augen, der in seinen besten Zeiten selbst jene Menschen mitgerissen hatte, die ihn nicht sonderlich sympathisch fanden.
Ein Mordskerl, sagte Annelie sich ein weiteres Mal, dieser Bernie Beer. Treu war er seiner Sofie nie gewesen. Das hatte man von diesem Mann schlichtweg nicht erwarten dürfen. Bernie hatte immer irgendeine Affäre gehabt und gleichzeitig doch gewusst, was er seiner Familie, seinem Namen, seiner Position schuldig war. Man sah ihn niemals mit einer anderen Frau in der Öffentlichkeit, es gab keine verfänglichen Fotos oder gar Sexskandale, die die Presse genüsslich aufdeckte, um sie anschließend marktschreierisch auszuschlachten.
Breitschultrig, hünenhaft, ein Mann, der gerne lachte und der die beneidenswerte Begabung besaß, andere Menschen um sich zu scharen, ohne viel dafür tun zu müssen:
Weitere Kostenlose Bücher