Mordskerle (German Edition)
Das war Bernhard Beer gewesen.
Gottlieb bedauerlicherweise nicht, erinnerte Annelie sich bekümmert. Gottlieb hatte immer nur seine Arbeit geliebt, doch niemals das Leben.
Im nächsten Moment drohte sie erneut in Panik zu geraten, weil sie befürchtete, Bernhards Grab gar nicht zu finden. Sie hatte sich das Familiengrab der Familie nicht merken können, darüber hinaus waren es zu viele Gräber, mit denen sie sich konfrontiert sah – wie sollte sie sich da zurechtfinden?
Glücklicherweise war Hilfe greifbar nah, denn eine kleine, schmale und sehr blasse Gestalt in einem schwarzen Leinenkleid wartete bereits auf sie: Sofie.
Sofie winkte Annelie von einer Biegung des weit verzweigten Wegenetzes zu und belächelte gleichzeitig offensichtliche Furchtsamkeit der Freundin. „Dass ausgerechnet dir vor Friedhöfen graut. Sonst hast du immer eine so große Klappe.“
„Ich weiß“, stöhnte Annelie, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Und ich schäme mich auch dafür. Zumindest manchmal. Aber ich kann es nicht ändern. Vielleicht legt sich das mit zunehmendem Alter.“
Das bezweifelte Sofie, jedenfalls soweit es Annelie betraf, doch sie sprach es nicht vorsichtshalber aus. „Der Stein ist noch nicht fertig“, erklärte sie leise, während sie Seite an Seite auf das Grab zugingen. „Ich habe weißen Marmor gewählt, direkt aus Italien importiert. Das dauert natürlich.“
Nachdem sie rote und weiße Rosen in einer Vase auf das Grab gestellt hatte, stand sie etwas ratlos davor, als wüsste sie nun nicht weiter. Trauer, so erkannte Annelie in diesem Moment, war in Sofies Leben nicht vorgesehen gewesen. Sie konnte mit dem Gefühl nichts anfangen.
Schuld daran war möglicherweise die Tatsache, dass Sofie nie für möglich gehalten hatte, ihr starker Bernhard könnte vor ihr sterben. Dieser Mann, der die personifizierte Lebenslust und Lebensfülle war.
Später, als die beiden Frauen neben einander auf einer Bank im Schatten einer uralten Linde hockten, weinte Sofie leise in ihr Taschentuch. Annelie hielt es jetzt für angebracht, ihr tröstend einen Arm um die Schultern zu legen. Sie weinte auch ein bisschen, doch nicht so sehr aus Trauer um den toten Bernhard, sondern aus Mitleid für die lebende Sofie, die nun ihr Leben alleine schaffen musste. Unwillkürlich brachte sie das zu der Frage, wer es jetzt wohl schwerer hatte – Sofie oder Bernhard.
Nach einigen Minuten entschied Annelie, dass es genug war mit der Trauer. Sie nahm ihren Arm von Sofies Schultern und sprang mit der Frage, die sie hierher mitgebracht hatte, mitten hinein in die aktuelle Situation, wobei sie schamlos Sofies Widerstandslosigkeit ausnutzte.
„Sag mal, Sofie, wie war das damals eigentlich mit Inken und Max Breidbach?“ Das war eigentlich nicht mehr als ein Schuss ins Dunkle, der natürlich total daneben gehen konnte, sich in diesem Fall jedoch unerwartet als Volltreffer erwies.
Sofies Tränen versiegten augenblicklich. Sie blinzelte verwirrt, schien Annelies Frage hinterher zu lauschen, als müsste sie erst deren Sinn begreifen. Dann schluchzte sie plötzlich auf, jetzt viel lauter und stärker, um mit erstickter Stimme hervor zu stoßen:
„Sie hat es nie verwunden, dass er sie einfach verließ… Sie liebte ihn doch so sehr…“
Diese Antwort traf Annelie so unvorbereitet, dass es ihr die Sprache verschlug. Als sie sich halbwegs gefasst hatte, konnte sie nur stottern:
„Wer? Inken?“
„Ja“, nickte Sofie, deren rehbraune Augen in Tränen schwammen. „Sie hat Max vom ersten Moment an geliebt, und er? Was tut er? Er verschwindet von einem Tag zum anderen aus ihrem Leben, ohne ihr das jemals zu erklären. Wenn du mich fragst, Annelie – sie ist nie darüber hinweg gekommen.“
„Es war tatsächlich so, wie du vermutest hast“, berichtete Annelie ihrer Tochter wenig später, in der einen Hand das Mobiltelefon am Ohr, die andere Hand am Lenkrad ihres Citroen, den sie im Wechsel von „Stopp and Go“ durch die verstopfte City lenkte. Eine endlose Autoschlange vor und hinter dem Citroen schleppte sich von Ampel zu Ampel.
„Inken war in Breidbach verliebt. Sophie behauptet sogar, er war Inkens große Liebe. Etwas, das ich mir bei ihr gar nicht vorstellen kann. Bernhard brachte den jungen Mann eines Tages mit, nachdem er ihn bei einem Meeting der Industrie- und Handelskammer kennen gelernt hatte. Max hatte gerade sein Staatsexamen bestanden. So, wie Sofie es schildert, war nicht nur Bernhard von Max
Weitere Kostenlose Bücher