Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
abschweifte: »Ihre neue Nachbarin, die habe ich neulich getroffen. Die nette Dame, die unser Haus gekauft hat. Obwohl, für Sie ist sie ja inzwischen nicht mehr so neu. Wie lange ist das schon her, vier Jahre?«
»Fünf«, nutzte Paula die kurze Atempause ihres Gegenübers. »Sie meinen Doris Körner.«
»Ja, genau. Es war letzte Woche, als ich mit meinem Neffen im Kindertheater war. Ich habe sie gleich wiedererkannt, sie sieht immer noch sehr gut aus. Hat sie Ihnen gar nichts davon erzählt? Ich habe ihr extra schöne Grüße an Sie aufgetragen.«
»Nein«, gestand Paula, »sie muß es wohl vergessen haben.« Sie war gefaßt darauf, sich nun gleich das übliche Betroffenheitsgesäusel anhören zu müssen, das normalerweise einsetzte, wenn Leute auf Doris und damit automatisch auf »das Unglück« zu sprechen kamen. Aber es blieb aus. Natürlich, dachte Paula, sie wohnte weit weg, und ihre hiesige Verwandtschaft wußte mit dem Namen Max Körner in den Zeitungen nichts anzufangen.
»Macht ja nichts.« Frau Gutsch wedelte gönnerhaft mit der üppig beringten Hand. »Wir kannten uns ja nur sehr flüchtig. Sie war doch damals schwanger und kam dann bald ins Krankenhaus.«
»Ja«, nickte Paula, »ziemlich lange.«
»Aber es hat sich wenigstens gelohnt«, zwitscherte die Gutsch fröhlich. »Ihr Junge ist ja ein reizender kleiner Kerl, und so gut erzogen. Nicht so frech und vorlaut wie diese amerikanischen Gören, also ich kann Ihnen sagen …«
»Hat sie das gesagt?« erstickte Paula einen erneuten Redeschwall im Keim.
»Was gesagt?«
»Daß der Junge, den sie dabei hatte, ihr Kind ist.« Paula konnte vor Aufregung kaum sprechen.
»Aber natürlich war es ihr Junge«, meinte Frau Gutsch irritiert. »Sie hat ihn mir ganz stolz vorgeführt. »Wie hieß er noch gleich …«, sie runzelte so angestrengt die Stirn, daß sich kleine Furchen in die dicke Schicht ihres Make-up gruben. »Max. Ja, genau. So heißt er doch. Oder nicht?«
Die zweite Sache war der Anruf von Doris am Tag danach. Sie bat Paula, Simon ans Telefon zu rufen. Paula holte ihn, blieb aber dicht neben ihm und hörte mit. Doris fragte ihn, ob er schöne Tage gehabt hätte und so weiter, dann kündigte sie an: »Ich habe ein Geschenk für dich.«
»Was ist es?« fragte Simon gierig.
»Moment, vielleicht kannst du es erraten«, antwortete Doris geheimnisvoll. Darauf folgte Stille, ein paar Geräusche im Hintergrund, dann fing Simon an zu strahlen. Aus dem Hörer drang ein dünnes, fiepsiges Hundegebell.
»Ein Hund!« schrie Simon. »Ist das meiner, gehört der mir?«
»Aber ja«, hörte Paula Doris sagen.
»Moment mal!« Sie wand Simon den Hörer aus der Hand, und mitten in sein Protestgeschrei rief sie: »Doris, was soll das? Ich kann keinen Hund halten, das weißt du doch. Er wäre viel zu oft alleine.«
»Gib mir, gib mir!« Simon zerrte mit aller Kraft an Paulas Arm, um wieder in den Besitz des Hörers zu gelangen. »Ich will wissen, wie er aussieht! Wie heißt er? Ist es ein Männchen?«
»Gleich, warte doch mal!«
»… sollst ihn doch gar nicht bei dir halten«, tönte Doris’ Stimme durch den Lärm, »der Hund wohnt bei mir.«
Paula ließ Simon den Hörer, ohne Doris zu antworten. Sie fühlte sich auf infamste Weise übertölpelt.
»Na toll«, murmelte sie gereizt. »Jetzt reicht’s mir langsam.«
Selbstverständlich fuhren sie noch am selben Tag zurück. Simon war durch nichts mehr zu halten, sein Gequengel wurde unerträglich. Gegen einen Hund hatte nicht einmal seine Tante Lilli eine Chance. Lilli selbst wirkte ein wenig erschöpft. Wahrscheinlich strengt sie der Trubel, den ein kleines Kind automatisch um sich veranstaltet, doch ein wenig an, dachte Paula. Lilli ist an so etwas in ihrer Wohnung nicht gewöhnt. Sie schien nicht sehr enttäuscht zu sein, während Paula gerne noch geblieben wäre, weg von zu Hause, weg von Doris und all den schrecklichen Ereignissen.
Beim Abschied drückte Lilli Paula fest an sich und wisperte ihr ins Ohr: »Du mußt auf diese Frau aufpassen, Paula. Versprichst du mir das?«
»Das verspreche ich«, sagte Paula grimmig.
Theater
Das Gerichtsmedizinische Institut gab den Leichnam von Max Körner frei, ohne zu irgendeinem konkreten Ergebnis über seine Todesart gekommen zu sein. Das Wasser hatte sämtliche Spuren verwischt. Bruno Jäckle wollte sich damit nicht zufriedengeben und ordnete eine Haaranalyse an.
»Denkst du, sie hat ihn vergiftet?« stichelte Paula, aber Jäckle war es todernst
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