Mordsmäßig fit
war einverstanden, am Wochenende mitzukommen und war überrascht, als er sagte, sie brauche nicht kiloweise Kleider mitzunehmen. »Es gibt Eisfischerei und es gibt Eisfischerei«, sagte er.
Gerade hatten sie letzte Verabredungen getroffen, als Jeff auf Dawn zukam. Er wollte sie am Sonntagabend zu einem Rockkonzert einladen. Als sie ihm sagte, warum sie nicht könne, bekam sein Gesicht zu ihrer Überraschung einen ärgerlichen Ausdruck. »Ich hätte nicht gedacht, daß ihr beide viel gemeinsam habt.«
»Er hat ein gutes Herz, Jeff. Er macht sich Sorgen um mich. Es schadet nichts, das Wochenende bei ihm zu Hause zu verbringen.«
»Ich kann gar nicht glauben, daß dieser Gorilla jetzt mein Rivale sein soll, seit Hector von der Bildfläche verschwunden ist.« Er beugte sich ganz nah zu ihr. »Nur fürs Protokoll. Ich bin nicht damit einverstanden.«
Ihre Nerven und ihre Geduld waren nicht das, was sie mal waren. »Das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, hat keiner meine persönlichen Beziehungen beaufsichtigt. Dich habe ich auch nicht darum gebeten, Jeff.«
»Ich dachte, ich bedeute dir etwas?« Er sah traurig aus.
»Das tust du auch.« Sie berührte seinen Arm. »Sieh mal, Karl will mit mir über etwas Wichtiges sprechen. Ich glaube, es hängt mit SHAPE zusammen.«
»Ich denke nicht, daß du mit ihm gehen solltest.«
»Warum?«
»Ich halte ihn nicht für vertrauenswürdig.«
»Hast du Beweise? Vielleicht Teil deiner Theorie, die du mir verheimlichst?«
»Nur so ein Gefühl.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, du bist auch nicht vertrauenswürdig, Jeff.« Sie drehte sich um und ging rasch davon. Er folgte ihr nicht. Was sie sagte, war wahr. Gestern hatte sie gedacht, sie könne sich auf ihn verlassen, trotz seiner Vergangenheit. Heute war sie sich nicht mehr so sicher. Eines jedoch war klar. So wie jetzt konnte sie ihr Leben nicht weiterleben. Aus. Und wieder an! Es war unfair ihren Freunden gegenüber und die Hölle für ihre Nerven - ganz abgesehen von ihrem gesellschaftlichen Leben. Nicht jeder konnte schuldig sein. Oder doch? Im Drohbrief stand: »wir«.
Zu Karls Elternhaus ging es immer geradeaus, dann, bei einem Autobahndreieck, auf ein paar kurvige Seitenstraßen. Obgleich es März war, hatte der Winter den Staat Maine fest im Griff. Wie Dünen säumten noch immer graue Schneehügel die Straßen. Weil sie es nicht geschafft hatten, den Club vor Nachmittag zu verlassen, fuhren sie den größten Teil in der Dunkelheit. Die Entfernung von der Stadt tröstete sie. Seit Eloises Tod vor mehr als einem Monat war sie nicht mehr weggefahren. Vor dem hohen, weißen Haus von Karls Eltern stieg sie aus dem Auto, streckte sich und atmete die kalte Winterluft ein. Über ihr ein sternenübersäter Himmel, wie verstreuter Zucker. Mrs. Clausman begrüßte sie wie ihre eigene Tochter. Eine rundgesichtige, energiegeladene Frau, die den Haushalt mit deutschem Enthusiasmus und Sorgfalt führte. Karls Vater war die ergrauende Version seines Sohnes, mit Armen, dick wie Baumstämme, und Schultern, breit genug für ein Geschirr. Sie speisten fürstlich, Dawn zu Ehren. Es gab herzhaftes Rindfleisch, Kartoffeln und dunkles Bier. Mrs. Clausman hatte einen Strudel gebacken. Dawn mußte ein Stück essen. Sie stand vom Tisch auf. Müdigkeit legte sich auf sie wie ein Vorhang. Karl begleitete sie zu einem der vielen Schlafzimmer, ausgestattet mit Daunenbetten und Schnickschnack. Später, sie war schon im Nachthemd, gewaschen und bettbereit, kam er zurück, um ihr zu sagen, sie habe seine Leute beeindruckt. »Sag ihnen mein Dankeschön«, sagte sie. »Und danke, daß du mich hierher gebracht hast. Ich mag die Abwechslung.«
Sie sah ernste Zuneigung in seinem vollen Gesicht. Sie gab ihm einen leichten Kuß auf den Mund. Dankbarkeit für die Befreiung von ihrer Anspannung und Furcht. Er berührte sanft ihre Schultern und wünschte gute Nacht.
Die frische Luft schickte sie schnell in einen tiefen Schlaf. Irgendwann, mitten in der Nacht, wachte sie auf. Traum oder Angst hatten ihre Müdigkeit wie eine Bombe zerschlagen. Sie setzte sich auf, klammerte sich an die Bettdecke. Sie bemühte sich, irgendwas in dem stillen Haus zu hören. Sie stand auf, zog die Bettdecke hinter sich her und ging zum Fenster. Sie öffnete die schweren Vorhänge. Der Mond schien auf die verschneite Wiese. Ganz am Ende erhoben sich ein paar einsame Kiefern. Einen Moment lang glaubte sie, jemanden zwischen den vom Schnee gebogenen Zweigen stehen zusehen. Nein.
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