Mordsmäßig fit
Nein! Das konnte nicht sein! Nicht hier. Sie blinzelte, schaute noch einmal, sah niemanden. Sie riß die Vorhänge zu und ging wieder ins Bett. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sie wälzte sich bis zum Morgengrauen hin und her. Sie hörte Mrs. Clausman aufstehen und sich um die täglichen Haushaltspflichten kümmern. Sobald Dawn Kaffee roch, war sie aus dem Bett.
Eisfischen, wie die Clausmans es betrieben, war nicht unbedingt primitiv zu nennen. Ihr Anwesen erstreckte sich über einen riesigen, windgepeitschten See, begrenzt von Kiefernwald. Eine Viertelmeile vom Ufer entfernt stand der Fischerschuppen, wie Karl ihn bezeichnet hatte. Für Dawn handelte es sich mehr um eine Jagdhütte; komplett mit Holzofen, Bett, Tisch und Stühlen und einem Coleman-Herd. In einer Ecke stand ein Eisbohrer mit Rasenmäherantrieb. Auf Regalen lagen Angelruten, Spulen und anderes Fischereizubehör. Eine große Kiste war voller ofengroßer Eichenscheite. Während Karl kniend das Feuer in Gang brachte, erzählte sie ihm, daß sie glaubte, von ihrem Fenster aus etwas gesehen zu haben.
»Unmöglich Dawn«, sagte er schnell. »Du bist jetzt auf Clausman-Land. Kein Grund zur Sorge.«
»Ich habe vielleicht wirklich jemanden gesehen, Karl! Ehrlich.«
»Das hast du nicht. Nicht hier. Beruhige dich.«
Sie dachte zurück und nahm an, er habe recht. »Ich war mir sowieso nicht sicher.«
Versuchte er sie zu beruhigen? Wer würde denn um vier Uhr morgens, zweihundertfünfzig Meilen von SHAPE entfernt, in der bitteren Mainekälte stehen und zu ihrem Fenster hochstarren? Kein geistig Gesunder. Das war klar! Karl und sie verbrachten den Tag fischend und bei guter Unterhaltung. Sie hatte sich vorgenommen herauszufinden, wie gescheit Karl war und wieviel er wußte. Es war ein amüsantes Spiel. Sie dachte, sie könne es das ganze Wochenende lang weitertreiben. Sie stellte ihm Suggestivfragen. Er antwortete gehorsam, der Konversation wegen. Er klärte sie über seine Vergangenheit auf: Junior College, bescheidener Ehrgeiz und die Bedeutung von SHAPE in seinem Leben. Man-ches ließ er aus, aber sie verzieh ihm seine Notlügen. Später, wieder im Haus, forderte sie ihn auf, sich neben sie aufs Bett zu setzen. »Ich weiß von deiner Beteiligung an einem Mord, Karl«, sagte sie, »und ich weiß, du bist dafür ins Gefängnis gegangen.«
Er sah sie nicht an. Seine Augen blickten auf seine Stiefel. »Wer hat dir davon erzählt? Die Bullen?«
»Ja.«
»Ich habe dafür bezahlt, Dawn. Die Gesellschaft und ich sind quitt. Ich mache keine wilden Sachen mehr. Ich habe meine Lektion gelernt.« In seiner Verlegenheit sah sie seine Zuneigung für sie. Sie stand ihm im Gesicht geschrieben.
»Ich glaube dir. Menschen machen Fehler.« Sie wollte nicht, daß er bedrückt war. »Du bist auch nicht der einzige. Zufällig weiß ich auch, daß Jeff Bently einmal seinen Kopf verloren hat. Am Ende gab es einen Toten.«
Karls breite Schultern hoben sich überrascht. Er schaute sie an, seine Augen weit aufgerissen. »Dann ergibt das, was ich dir sagen wollte, noch mehr Sinn.«
»Über Jeff?«
Er nickte, erhob sich, ging hinüber zum bauchigen Ofen und beschäftigte sich mit Schürhaken und Holz. »Erinnerst du dich, daß ich ihn beinahe mitten in der Nacht erwischt habe, als er herumschlich?«
»Er hat zugegeben, daß er es war. Er wollte mir nur nicht sagen, weshalb.«
»Naja. Seitdem habe ich ihn im Auge behalten.« Er drehte sich zu ihr, den Schürhaken in seiner Riesenfaust. »Er hat im ganzen Club herumgeschnüffelt. Er war an Orten, wo er, glaube ich, nichts zu suchen hat.«
»Wo zum Beispiel?«
»Er war in der dritten Etage, als Sam heruntersprang.«
Dawn schluckte. »Willst du damit sagen -«
»Er war dort. Ich habe gewissermaßen auf ihn aufgepaßt. Ich behaupte nicht, er war da, wo Sam Springs gesprungen ist. Aber ich behaupte auch nicht, daß er nicht da war. Ich habe ihn aus den Augen verloren.«
Dawn entging natürlich nicht, daß das hieß, daß Karl sich auch dort aufgehalten hatte. Ihr Verstand machte einen Satz: Nur er hatte die Kraft, Sams Widerstand zu bezwingen und ihn über das Geländer zu hieven. Halt, stop, Dawn Gray! Sie befahl ihrem Verfolgungswahn, Ferien zu machen. Karl war zu direkt für diese Art krimineller Täuschung, die nötig war, um dieses Wochenende zustande zu bringen. Ganz abgesehen vom Umfang des tödlichen Netzes, in dem sie sich gefangen fühlte. Er hatte absolut kein Motiv. Er war ein gutherziger Muskelprotz und
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