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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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würde man es als Schlamperei hinstellen. Gerlinde hatte während ihrer Jahre in der Parteizentrale all diese Lügen und Verstellungen von hochrangigen Funktionären zur Genüge kennen gelernt. Aus Angst vor den Wählern belogen sie diese nach Strich und Faden, wie sie sich auch untereinander belogen und betrogen.
    Kein Mensch würde ihr abnehmen, dass sie wirklich so naiv mit ihrer aus dem Klofenster gemachten Beobachtung zu ihrem Chef gekommen war, dann aber erfasst hatte, über welches Kapital sie damit verfügte. Und dann war alles so unglaublich schnell gegangen: Ein paar Tage so genannten Übergangsurlaubs – und schon war sie bei der ENAG Chefsekretärin gewesen, wo man dringend so eine tüchtige Person wie sie benötige. Übrigens hatte ihr der damalige Parteisekretär geholfen, mit dem schlechten Gewissen fertig zu werden: Wenn die Polizei auf sie zukäme, klar, dann solle sie das natürlich sagen, aber wenn man ihre Aussage nicht bräuchte, dann sei ohnehin alles in bester Ordnung. So fadenscheinig das war, aber damit hatte Gerlinde Brunner all die Jahre ihr Gewissen beruhigt, das sich von Zeit zu Zeit sehr wohl geregt hatte, wenn sie an den unschuldig Getöteten und dessen Familie gedacht hatte oder durch irgendetwas daran erinnert worden war.
    Plötzlich spürte sie Wut, wenn sie daran dachte, am Ende die Alleinschuldige zu sein. Nein, da würde sie sich zur Wehr setzen … sie hatte Ersparnisse … ein richtig guter Anwalt … sie allein würde nicht alles ausbaden!
    Ihr Entschluss stand nun jedenfalls endgültig fest: Morgen würde sie im Büro früher aufhören und sich dann selbst anzeigen. Vielleicht wären die Folgen doch nichtganz so gravierend. Vielleicht würde der DI um sie kämpfen. Wenn man ihn ließe! Denn auch er, mein Gott, verdankte seine Stelle der Partei. Aber daran wollte sie jetzt nicht auch noch denken.
    »Ja, Vera, wer über ein Gewaltverbrechen in der Zeitung liest, erfährt über die Täter etwas und ein wenig über die Opfer – aber in der Regel sind überall auch die Familien mit betroffen, die nur allzu oft zerstört werden.« Das breche auf diese Menschen eigentlich immer ohne Vorwarnung herein, zumindest hätten sie allfällige Vorzeichen nicht deuten können … das sei dann regelrecht ein Sturzbach von Unglück. »Deshalb hoffe ich sehr, dass Frau Weger einfach ihr Kind genommen hat und weggefahren ist. Vielleicht zu ihrer Schwester, die zu ihr kommen wollte.«
    Sie saßen auf dem niedrigen kleinen Sofa und schwiegen. Vera drängte sich dann an ihn, und sie umarmten und küssten einander lange. Danach legte die Frau schweigend ihren Kopf an seine Schulter.
    »Aber wenn die Mutter keinen Ausweg mehr wusste«, sagte sie plötzlich leise.
    »Nehmen wir nicht gleich das Schlimmste an«, versuchte er sie wenig überzeugend zu beruhigen, da ihm selbst das Bild vor Augen stand, wie Mutter und Kind tot in der Wohnung lagen.
    Erich spürte an seiner Schulter, dass Vera nickte.
    Harlander und Koller sprangen aus dem Wagen.
    Vor dem Lift sahen sie, dass der Aufzug unterwegs war. Die beiden Männer verloren keine Zeit und rannten zu Fuß bis zur Dachterrassenwohnung der Wegers hinauf. Kurz davor blieb Harlander stehen und schnüffelte. »Riechst du es auch? Ist das nicht Gas, Sigi?«
    Koller sog die Luft ein, während Harlander bereits seinen Finger auf der Türklingel hatte und Sturm läutete.
    »Rührt sich nichts«, sagte Harlander, der wie sein Kollege noch heftig atmete. Er behielt den Finger auf dem Klingelknopf.
    Koller presste sein Ohr an die Tür. »Nichts zu hören.«
    »Soll ich den Chef anrufen?«
    »Nicht nötig«, entgegnete Koller. »Gefahr in Verzug. Wir brechen die Tür auf.«
    »Die schaut aber nach Sicherheitstür aus, Sigi.«
    Während Koller nachdachte, drückte Harlander in kurzen Abständen immer wieder auf den Klingelknopf.
    »Ah – da! Ich höre was, Joe«, sagte Koller, der wieder sein Ohr an die Tür hielt.
    Harlander drückte noch ein paar Mal, dann hörten sie langsame, schlurfende Schritte auf die Tür zukommen.
    »Hört sich nach der Großmutter an«, sagte Harlander leise.
    Ohne sich danach zu erkundigen, wer da sei, öffnete Frau Weger die Wohnungstür. Sie stand mit unfrisiertem Haar und verschlafenem Gesicht, aber angekleidet vor den Männern. »Sie … entschuldigen Sie … ich … ich hab mich wieder hingelegt … die Medikamente, die … sie machen mich so müde.« Die Frau schluckte nach fast jedem Halbsatz. Die Augenlider fielen ihr immer

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