Mordsonate
Zusammenhang?«
Die Befürchtung, dass es mit dem Besuch des Polizisten also jetzt ein für allemal aus wäre mit ihrer Zeit als ENAG-Chefsekretärin, hatte sich für die Frau, die ihre zittrigen Hände nun unter dem Besprechungstisch versteckte und nervös ein Taschentuch zerknüllte, zur Gewissheit verdichtet. Schon auf dem Weg ins Erdgeschoß – sie hatte absichtlich nicht den Lift genommen, um noch Zeit zum Nachdenken zu gewinnen – hatten die Selbstvorwürfe eingesetzt, wie sie nur so dumm sein hatte können, die rettende Selbstanzeige hinauszuschieben. Sie so lange aufzuschieben, bis es tatsächlich zu spät war. Was für eine furchtbare, was für eine unglaubliche Ironie: Gerade ihr, die sie doch fast krankhaft zuverlässig war, sollte zum Verhängnis werden, einmal, ein einziges Mal in ihrem Leben etwas hinausgeschoben zu haben. In ihrer Verwirrung entschlüpfte ihr nun der atemlos gestammelte Satz: »Ich wollte … glauben Sie mir, gerade in dem Moment wollte ich doch von mir aus … um das alles zu beenden …«
Ohne eigentlich zu wissen warum, hielt sie inne, denn der Polizist sah ihr kurz mit fragendem Blick in die Augen, drang jedoch nicht weiter in sie, sondern fragte sie ohne Umschweife: »Hatten Sie ein Verhältnis mit Herrn Weger, Frau Brunner?«
Gerlinde sah ihn an und überlegte, was jetzt für sie wohl am besten sei, wo es doch ohnehin vorbei … sollte sie … nun, warum sollte sie alles allein auf sich nehmen? Und so versuchte sie, nicht konkret zu werden und sah verlegen auf den Tisch, als sie leise antwortete: »Ja, wir hatten …«
»Hmm«, machte der Mann und nickte. »Und an dem bestimmten Tag, Sie wissen schon, als das Mädchen verschwand?«
Es ging also doch um das Alibi, dachte Gerlinde, er forderte es jetzt ein. Oder wollte sie der Beamte hereinlegen?Gerlinde kam alles durcheinander. »Ich … das könnte leicht sein, wirklich, aber … ich weiß doch heute nicht mehr alle Tage und Stunden, Sie verstehen. Es ging ja auch um Stunden …«
Der Kriminalbeamte nickte.
Gerlinde war rot geworden, nicht wegen des Verhältnisses mit Hans, sondern wegen ihrer möglichen Falschaussage.
»Sie müssen verstehen … ich meine, wir waren öfter mal zusammen, kann wirklich leicht gewesen sein, dass wir da … aber beschwören … ich weiß nicht, ob ich das … müsste ich das denn beschwören können?«
»Zu einem Prozess kann es ja jetzt nicht mehr kommen«, entgegnete der Mann auffallend kühl.
»Nicht mehr kommen? Warum … warum denn das?«
Gerlinde Brunner sah ihn ohne jede Verstellung überrascht an. Nach kurzer Überlegung sagte der Beamte: »Herr Weger hat sich … Sie verstehen.«
Gerlinde schlug sich die Hand vor den offenen Mund und brauchte einige Sekunden, um nachzufragen. »Sie meinen damit, dass er sich …«
Der Kriminalbeamte nickte mehrmals und sagte: »Ja.«
Gerlinde schluckte. »Und er hat mich erwähnt, sagen Sie? In einem … Abschiedsbrief?«
»Ja, er hat … in einem … einer Art Briefkonzept hat er auf Sie verwiesen. Sie wüssten Bescheid.«
»Bescheid, worüber denn Bescheid?«
»Dass er unschuldig sei, bezüglich des Mädchens.«
Gerlinde schluckte wieder. Ihre Brust hob und senkte sich schnell, und sie klemmte sich ihre Hände unter dem Tisch fest zwischen die Knie. »Und sonst hat er nichts … ich meine, nur das hat er …«
»Das war kein Testament«, erwiderte der Mann plötzlichruppig, weil er aus Gerlindes Fragen längst den Schluss gezogen hatte, dass sie von ihm hören wollte, was Hans Weger ihr vermacht habe.
»Er hat nur …«
»Diesen einen Satz, ja.«
»Sonst wirklich nichts?«
»Nein. Aber es kann auch sein, dass er bei einem Notar ein Testament hinterlegt hat«, versetzte Sigismund Koller ungehalten, da er nicht verheimlichen konnte, wie sehr ihn die offenkundige Gier dieses Liebchens anwiderte. Als Kind hatte er in seiner eigenen Familie so etwas erleben müssen, als nach dem Unfalltod seines Vaters plötzlich eine Geliebte aufgetaucht war – eine Person, von deren Existenz Sigis Mutter nichts gewusst hatte. Papa war kaum unter der Erde gewesen, da war diese Person mit ihren unverschämten Forderungen auch schon vor der Tür gestanden. Hatte in der Küche auf Sigis weinende Mama eingeredet, was Papa ihr nicht alles versprochen hätte.
Gerlinde wollte unter keinen Umständen zeigen, wie unendlich erleichtert sie war – denn womöglich schöpfte der Mann, dem sie auf einmal so unsympathisch geworden war, sofort Verdacht. Sie
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