Mordsonate
gewesen war.
»Es wird alles gut, Anja, es … wenn du nur wieder daheim bist«, sagte ihre Tante erleichtert und drückte dasKind an sich, das sich sogleich losriss, als seine Mutter unter der Wohnzimmertür erschien – bleich im Gesicht, ohne Lippenstift, unfrisiert und schwarz gekleidet.
»Mama!«
Petra Weger entfuhr ein kurzer hoher Schrei, und sie hielt sich reflexartig die Hand vor den Mund. Als ihre Tochter samt Rucksack die paar Schritte auf sie zustürzte, flossen der Frau bereits die Freudentränen über das von heftigen Gefühlen verzerrte, sich langsam rötende Gesicht.
Erich stieg das Blut in den Kopf. Hatte er sich doch gerade erst damit vertraut zu machen begonnen, dass der ihm so sympathische Musiker zum Hauptverdächtigen geworden war, der sie frech zum Narren hielt mit seiner plump erfundenen Geschichte und seiner hartnäckig verdrängten Vergangenheit. Und schon sollte alles wieder anders sein?
Als der Revierinspektor Harlander hilflos wie ein bei einer schweren Verfehlung ertappter Schüler vor Roland Brammer stand und sich mit unsicherer Stimme für seinen Fehler entschuldigte, zeigte sich der Musiklehrer auf eine Weise großzügig, die nach Erichs Dafürhalten angenehm frei war von herablassendem Nachsichtigkeitsgehabe. »Ist schon gut«, beruhigte er den aufgeregten jungen Beamten. Und als Erich der Form halber murmelte, dass dem Herrn Brammer natürlich das Recht zustehe, Beschwerde einzulegen, entgegnete der irrtümlich Festgenommene ohne Überheblichkeit, dass ihm die Einsicht in die Unvollkommenheit der menschlichen Spezies inzwischen zur wichtigsten in seinem Leben geworden sei. Und sie sei gerade einem wie ihm alles andere denn leicht gefallen, wo ihm doch seit früher Kindheit ein gewisser Hang zur Perfektion zu schaffen mache. »Aber wir sind alle keine Maschinen, und nicht einmal die laufen immer fehlerfrei.«Ja, komisch, dass einem eine so simple Einsicht überhaupt so schwer fallen könne, wo sie doch selbstverständlich sein müsste: Wer ständig von sich und anderen in allem Perfektion erwarte, mache sich über kurz oder lang selbst kaputt. Um diese ebenso einfache wie leidvolle Erfahrung sei er tatsächlich nicht herumgekommen. Nein, nein, natürlich verzichte er darauf, wegen dieses Irrtums irgendwelche Schritte zu unternehmen. »Soll mir in meinem weiteren Leben nie Schlimmeres passieren, als verwechselt und irrtümlich festgenommen zu werden!«
Roland Brammer hatte seine Souveränität wiedererlangt. Er blickte gelassen in die betroffenen Gesichter der Beamten, als er schmunzelnd meinte: »Mit wie vielen Inländern teile ich so eine Erfahrung?« Dürfe er sich mit ihr nicht sogar ein bisschen herausgehoben fühlen?
Erich machten seine widersprüchlichen Gefühle, was diesen Menschen betraf, der ihm sympathisch war, ihn aber mit diesen letzten, ein klein wenig selbstverliebten Sätzen auch auf den Arm zu nehmen schien, ebenso zu schaffen wie seine Selbstvorwürfe wegen Harlanders Verwechslung. Denn die nochmalige Überprüfung aller Daten hätte er als Chefinspektor vor dem Zugriff anordnen, sich zumindest sofort den Strafregisterausdruck vorlegen lassen müssen, mochte seine Freude über den Eifer des jungen Mitarbeiters noch so groß gewesen sein. Erst recht, wo ihm doch schon bewiesen worden war, dass im Ministerium in Wien einige Personen begierig auf den kleinsten Fehler lauerten, um daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen. Mochten in Österreich bei nahezu jeder polizeilichen Ermittlung noch so viele Fehler passieren, weil, mit Herrn Brammer gesprochen, halt keine Maschinen am Werk waren, so würde man sich bei ihm auf den kleinsten Schnitzer stürzen.
Wie bei jedem Fehler war es im Nachhinein ein Leichtes zu sagen, wie er hätte vermieden werden können: Bei Vorliegen des Ausdrucks hätte ein Blick genügt, um zu erkennen, dass es dabei um einen Robert Brammer ging und nicht um einen Roland Brammer! Um einen Robert Brammer, der nach seiner Entlassung aus dem Schuldienst nach Wien verzogen war, wo er seither als Versicherungsvertreter arbeitete, und der nie etwas mit dem alten Häuschen zu tun gehabt hatte, wie der Chefinspektor sicherheitshalber nachträglich noch erheben ließ.
Erich wusste sich vorerst nicht anders zu helfen, als den Verhörraum schnellstens zu verlassen, um zu versuchen, mit rationalen Überlegungen Ordnung in seine Gefühle zu bringen.
Der Chefinspektor rannte aufs Klo. Im Waschraum rief er Vera an – nein, da sei sie sich ganz
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