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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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zurückkäme: »Aber morgen brauche ich Sie unbedingt. Möglichst früh … wir haben viel zu tun, Gerlinde.« Er wolle vor seinem Urlaubsantritt die Causa Weger, die Regelung der Nachfolge des verstorbenen Vorstandsdirektors, noch auf Schiene bringen.
    »Natürlich!« Gerlinde rief das Wort viel lauter in ihr Handy, als sie das wollte. »Spätestens um halb acht bin ich morgen wie gewohnt auf meinem Platz.«
    »Dann bin ich ja beruhigt! Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag.«
    Wie viele Qualen hätte sie sich in ihrem Leben schon erspart, wenn sie mit dem, was von ihr erwartet wurde (und was sie darauf hin unverzüglich mit Nachdruck von sich selbst einzufordern pflegte), nachlässiger umgegangen wäre. War es nicht tatsächlich so, dass das meiste von dem, was einen Menschen wie Gerlinde Brunner augenblicklich in größte Unruhe versetzte, sich ohnehin von selbst erledigte, wenn man dessen vorgebliche Dringlichkeit eine Zeitlang einfach ignorierte? Gerlinde wusste, dass sie dazu nie fähig sein würde – aber schön war sie, die Vorstellung, sich einmal wirklich so zu verhalten.
    Bei dem Wetter waren natürlich alle Tischchen vor dem Kaffeehaus am Mozartplatz besetzt – aber Gerlinde verließ auch jetzt das Glück nicht: Ein junger Mann im Nadelstreifenanzugwar dabei zu zahlen und bot ihr charmant seinen Stuhl an, nachdem er die wartende Frau bemerkt hatte. Und so saß sie mit Blick auf das inzwischen von seinen Lacktränen gereinigte Denkmal. Da niemand da war, mit dem sie anstoßen hätte können, erhob sie übermütig ihr Proseccoglas in Richtung Mozart. Und als sie ihr viertes Glas geleert hatte, begann sie plötzlich lauthals zu lachen – warum sollte Mozart nicht auch vor lauter Lachen geweint haben? Gerade Mozart!
    »Herr Brammer«, wiederholte Erich ungehalten, »das hat doch keinen Sinn! Warum erzählen Sie uns solche Geschichten? Das führt doch zu nichts.«
    Obschon dem Mann die Bedrängnis anzusehen war, die er empfand, bestand er darauf, dass sich alles genau so abgespielt habe: Der Unbekannte habe sich als Joachim Bernberger, Klavierstudent am Mozarteum, ausgegeben. Reflexartig griff Herr Brammer nach seinem Zigarettentabak, um die Packung zuerst auf den Tisch und danach seine Hand darauf zu legen, ehe er sie irgendwann wieder in seiner Tasche verschwinden ließ.
    »Bringen Sie es doch hinter sich, Herr Brammer. Es hat Sie wieder überkommen … dieses Bedürfnis … wie damals, als Sie sich an Ihrer Schülerin vergangen haben!«
    Nun verlor der Beschuldigte erstmals die Nerven: »Ich habe mich nie und nimmer an einer Schülerin vergangen – wie kommen Sie nur darauf?«
    »Ihre Vorstrafe«, sagte der an der Wand lehnende Harlander. »Tut mir leid, sie ist noch nicht verjährt.«
    »Nein! Sie spinnen doch. Das kann doch nur … das muss ein Irrtum sein!«
    »Inzwischen ist eine zweite Klavierschülerin abgängig, Herr Brammer. Anja Weger, die beste Freundin des MordopfersBirgit Aberger. Zufall? Sie wollen uns doch nicht weismachen, dass das Zufall ist?«
    »Ich kenne Birgit Aberger nur aus den Medien, nicht persönlich, geschweige denn ihre Freundin!«
    Erich fragte, was er denn an dem besagten Nachmittag gemacht habe, als Birgit Aberger verschwunden war, und überlegte kurz, ob vielleicht sogar Brammer Weger die Tat in die Schuhe schieben wollte. Der Musiker zuckte wie ein störrischer Halbwüchsiger mit den Schultern: Gitarrestunden habe er an dem Wochentag nachmittags keine, aber wie solle er jetzt noch wissen, was er da gerade gemacht habe? »Spazieren gehen, Musik hören, lesen, daheim meditieren – was weiß ich«, meinte er gereizt. »Ich führe kein Tagebuch.«
    Der Chefinspektor atmete ungehalten aus, als er sich von dem Mann abwandte und Harlander bat, den EKIS-Eintrag ausdrucken zu lassen, weil das in der Eile bislang unterblieben war. Der Strafregisterauszug, brummte er verärgert, werde dem Gedächtnis des Herrn Brammer schon auf die Sprünge helfen und es ihm erleichtern, sich endlich zur Wahrheit zu bekennen, so unangenehm diese für ihn auch sein möge. Er drehte sich wieder ganz dem Beschuldigten zu, als er sagte: »Schön langsam verliere ich nämlich wirklich die Geduld!«
    »Und die Mama? Wo ist denn die Mama?« stieß Anja erschrocken hervor, als sie im Vorraum der Wohnung von ihrer Tante Angela empfangen wurde.
    Das Mädchen hatte vor seiner Heimkehr aus Seekirchen nicht wie vorgehabt anrufen können, da die einzige Telefonzelle, die es gefunden hatte, demoliert

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