Mordsonate
ich hätte das nicht …«
»Frau Weger, machen Sie sich jetzt darüber keine Gedanken. Es ist gut, dass wir es noch erfahren haben, das ist jetzt das Wichtigste für unsere weiteren Ermittlungen. Können Sie irgendwann in nächster Zeit zu uns kommen, damit wir Ihre geänderte Aussage der Form halber auch schriftlich zu Protokoll nehmen können? Es eilt nicht … aber ich kann natürlich auch jemanden von uns bei Ihnen vorbeischicken.«
»Nein, nein, das ist nicht nötig. Ich … das schaffe ich schon. Ich werde das bald tun, Herr Dr. Laber. Meine Schwester hilft mir ja sehr. Sie ist jetzt eine so große Stütze.«
»Das ist gut, Frau Weger. Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
»Danke! Aber jetzt … ich … ich weiß doch selber einfach nicht mehr, was ich glauben soll, was eigentlich passiert ist, ich meine, ob Hans … aber so etwas Schreckliches, ich kann es einfach nicht glauben, Herr Inspektor!«
»Frau Weger, ich denke eher auch, dass es nicht Ihr Mann war. Wir ermitteln auch in andere Richtungen.«
»Ja?«
»Ja, Frau Weger. Es geht absolut nicht mehr nur um Ihren Mann … allein.«
»Das … das zu hören, das tut mir gut, Herr Dr. Laber, so gut. Und ich bin ja so dankbar, dass Anja wieder gesund zurück … dass sie wieder daheim ist … das war … es war ja kaum auszuhalten, gerade jetzt, wo Hans auch noch …«
»Dass Anja wieder daheim ist, ist die Hauptsache, Frau Weger, absolut die Hauptsache.«
»Ja, schon.«
»Ach ja, Frau Weger … wie hieß denn der Klavierlehrer der Mädchen? Ich meine, vor ihrem Übertritt ins Mozarteum?«
»Klavierlehrer? Das war der Herr … Brammer.«
Vera Stelzmann stieg vor ihrem Wohnhaus in der Sparkassenstraße vom Rad und schaltete die elektrische Fahrradlampe aus. Mit halbem Ohr hörte sie irgendwo in der Nähe einen Wagen herankommen, auf den ihr die Hausecke die Sicht nahm. Eine Autotür wurde geöffnet, aber nicht mehr zugeschlagen. Sie kramte in ihrem Rucksack nach dem Schlüsselbund und wollte gerade ihr Rad in den Fahrradkeller schieben, als hinter den Müllcontainern im schwachen Licht einer Straßenlaterne plötzlich eine schwarz gekleidete Gestalt auftauchte.
Die Frau schrak zusammen, als sie einen Kapuzenmann erblickte, der dem von dem Foto glich, das sie kürzlich auf ihrem Gepäckträger gefunden hatte. Einige Schrecksekunden lang starrte sie die bis auf zwei Augenöffnungen komplettvermummte Gestalt an, die reglos vor ihr stand. Dann riss Vera Stelzmann ihr Rad herum, schwang sich auf den Sattel und fuhr so schnell sie konnte den Weg wieder zurück, den sie gerade gekommen war.
Sie war schon die Strubergasse in Richtung Franz-Josef-Kai entlang geradelt, als sie sich vor der Kreuzung Gaswerkgasse an der auf Rot stehenden Ampel das erste Mal umdrehte – es schien ihr niemand zu folgen. Und in den Autos, die sie bis hierher überholt hatten, waren keine Männer in Kapuzen gesessen, soweit sie das erkennen konnte. Da sie Angst hatte, zu ihrer Wohnung zurückzufahren, entschloss sie sich, erst einmal zum Mozarteum zu radeln, um von dort Erich anzurufen; allein bei dem Gedanken daranfühlte sie sich sofort wohler. Wer hatte schon einen leitenden Kriminalbeamten als Beschützer! Als sie weiterfahren wollte, fiel ihr auf, dass sie ohne Licht geflüchtet war. Und beim Einschalten der Fahrradbeleuchtung bemerkte sie, wie sehr ihre Hände noch immer zitterten.
Der Franz-Josef-Kai war noch immer belebt, und Vera war erleichtert. Sie querte die Salzach wieder über den Müllnersteg. Als sie sich im Mozarteum in ihrem Zimmer, das sie nach dem Eintreten versperrt hatte, auf den Stuhl fallen ließ, klebten ihr die Haare schweißnass am Hinterkopf. Sie schloss die Augen und versuchte gleichmäßiger zu atmen. Und während sie noch den Eindruck hatte, an gar nichts zu denken, sich nach und nach tatsächlich zu beruhigen, kehrten von irgendwoher diese Erinnerungen zurück. Sie waren so unversehens aufgetaucht wie ein Name, der einem von selbst wieder einfällt, obwohl zuvor noch so angestrengtes Nachdenken erfolglos geblieben war. Auf einmal war der Frau alles, was damals geschehen war, in erschreckender Deutlichkeit wieder gegenwärtig.
Aber warum nur hatte sie nicht schon beim Anblick des Fotos, das ihr kürzlich auf das Fahrrad geklemmt worden war, an all das gedacht? Jetzt, wo dieser Kapuzenmann leibhaftig vor ihr gestanden war, wusste Vera Stelzmann plötzlich, in welchem Zusammenhang sie mehrere solcher Männer in schwarzen Kutten schon einmal gesehen
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