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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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hatte, vor vielen Jahren. Und zwar keineswegs real, sondern auf einem Zeitungsfoto. Und dennoch hatte das Bild vor kurzem in ihr keine Erinnerung geweckt. Weil sie diese instinktiv nicht hochkommen hatte lassen, wo sie doch alles, was damit verbunden war, über Jahre hinweg perfekt verdrängt, aus ihrem Leben scheinbar ein für allemal hinausgedrängt hatte?
    Jetzt vermochte sie sich der Erinnerungen nicht mehr zuerwehren … der Vorfall mit dem Buben, der ihr im Nachhinein ungeheuer peinlich war … diesem deprimierend unbegabten Klavierschüler, der sie damals zur Raserei gebracht hatte, nachdem sie ihn trotz seines Leugnens verdächtigte, bei einem öffentlichen Konzert ihrer besten Schüler dem talentiertesten Mädchen aus reiner Missgunst Juckpulver unter das Kleid geschüttet und damit ihren als Höhepunkt erwarteten Auftritt zu einer blamablen Farce gemacht zu haben. Das zehnjährige Mädchen, das anfangs tapfer versucht hatte, sich zu kratzen und trotzdem weiterzuspielen, obwohl längst alles verloren gewesen war, war schließlich mit einem Weinkrampf von der Bühne gerannt und danach zusammengebrochen.
    Als der betreffende Schüler in der nächsten Stunde immer noch leugnete, waren der jungen Lehrerin die Nerven durchgegangen. All das hatte sich in der für Vera so belastenden Zeit der Trennung von ihrem ersten Partner ereignet. Zermürbt von den nächtelangen Streitereien wollte sie von dem Schüler endlich das Eingeständnis seiner Tat hören. Er bestritt weiterhin, das Pulver gestreut zu haben, und als er dann vorspielte – einmal mehr ohne Empfinden für die Musik, Note für Note vom Blatt, aber infolge der Aufregungen natürlich noch viel schlechter als sonst –, da unterbrach sie ihn schon nach einer Minute und brüllte ihn an, völlig außer sich, was ihm einfiele, Mozart dermaßen zu verhunzen. Mozart, schrie sie ihn an, würde weinen, wenn er das hören müsste! Immer wieder brüllte sie den pummeligen Buben, der zitternd vor dem Klavier saß, an, dass alles hoffnungslos sei bei ihm. Dass er nicht über einen Funken Talent verfüge. »Mozart würde weinen, merk dir das, weinen würde er, wenn er das hören müsste!« Nie wieder wolle sie ihn sehen, das solle er seiner uneinsichtigen Mutter ausrichten, nie wieder!
    Einen Tag vor diesem Ausbruch hatte sie ein Telefonat mit der Mutter des zehnjährigen Schülers geführt, bei dem diese mit keinem Wort auf Veras Vorhaltungen wegen des Vorfalls mit dem Juckpulver eingegangen, sondern ihrerseits der Klavierlehrerin Unfähigkeit vorgeworfen hatte, das Genie ihres Sohnes zu erkennen. Und im Zusammenhang mit dieser alleinerziehenden Frau, die als ausgebildete klassische lyrische Koloratursopranistin für Musical und Operette in Bayern in einem König-Ludwig-Musical Erfolge feierte, hatte Vera damals dann auch dieses Zeitungsfoto gesehen … diese Männer in den schwarzen Kutten.
    Mein Gott, dachte sie jetzt bestürzt, ich muss Erich … ich muss ihm erzählen, was mir wieder eingefallen ist.
    »Was … wie, Frau Weger, Brammer? Roland Brammer?«
    Erich atmete heftig, sein Puls hatte sich beschleunigt. Er hielt den Telefonhörer fest ans Ohr gepresst – die Rockmusik war für sein Gehör nicht ohne Folgen geblieben –, als er seine Frage wiederholte: »Roland Brammer, Frau Weger?«
    »Nein. Nein, nein, Herr Dr. Laber, entschuldigen Sie, nicht Brammer … ich bin ja noch so durcheinander … Brammer hat die Lehrerin geheißen, in der Volksschule, der das gute Gehör der Mädchen aufgefallen ist … Bramberger, Bramberger hat der Klavierlehrer … Siegfried Bramberger –«
    »Bramberger, Frau Weger? Nicht Bernberger?«
    »Nein, nein, Bramberger … so ein netter Mensch … der hat ja Einnahmen verloren dadurch. Mein Mann, der Hans, da war er schon immer großzügig … er hat ihm dafür etwas zukommen lassen, weil er die Mädchen an das Mozarteum empfohlen hat, Sie verstehen. Ja, ja, das hat er, hat er schon.«
    »Da sind Sie sich ganz sicher, Frau Weger, Bramberger und nicht Bernberger?«
    »Ja natürlich, ganz sicher. Ich bin nur so durcheinander jetzt … und seit ich die Tabletten nehme … sie tun mir ja gut, aber verwirrt komme ich mir schon vor, seither … mir kommt viel leichter etwas durcheinander …«
    »Vielen Dank, Frau Weger, und alles Gute nochmals. Auch Ihrer Tochter!«
    »Ich habe zu danken, Herr Dr. Laber, ich … für … für Ihr Verständnis.«
    Der Chefinspektor wischte sich über die Stirn, sie war heiß, aber staubtrocken. Er ging

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