Mordsonate
zum Fenster und öffnete es. Auf einmal war wieder so viel mehr unklar in diesem verfluchten Fall, in dem ihm doch auch vor diesem Anruf in Wahrheit kaum etwas wirklich schlüssig zusammenzupassen schien.
Erich starrte eine Zeitlang aus dem Fenster, ohne etwas wahrzunehmen. Obwohl er seine Bürohöhle eben noch so genossen hatte, musste er jetzt hinaus, um zu versuchen, aus jenen Gedankengängen herauszufinden, in denen er sich vor dem Telefonat – im Kreis! – bewegt hatte. Er musste abschalten. Zuallererst sein Mobiltelefon, bei dem er die Umleitung zum Journaldienst des LKA aktivierte. Vorerst hatte er genug von telefonischen Überraschungen! Er musste erst einmal das soeben Gehörte verarbeiten. Er wollte auf dem Heimweg ein Stück die Salzach entlang radeln, durch diesen milden, herrlich duftenden Frühlingsabend. Er wollte jene Bank in der Nähe des Stadtpolizeikommandos aufsuchen, auf der er vor gar nicht langer Zeit nach seinem Antrittsbesuch beim Oberstleutnant Hagleitner gesessen war, auf den Gaisberg geschaut, die in der Salzachmitte taumelnde Boje beobachtet und die Entscheidungsfreiheit eines Chefinspektors genossenhatte, erst dann ins Büro zu fahren, wenn ihm danach war.
Beim Treten horchte er nur auf das Knarzen und Scheppern, das Sattel, Pedale und Kotflügel des alten Fahrrads von sich gaben, lauschte dem sich mit dem Tempo verändernden Surren, das vom Dynamo der unzeitgemäßen Lichtanlage kam, in das sich das Plätschern des Salzachwassers mischte, das jetzt am Abend viel deutlicher zu hören war als untertags.
Was für ein herrlicher Abend! Hatte er vielleicht doch den falschen Beruf gewählt? Einen, der ihn ständig dazu zwang, sein Augenmerk auf die hässlichen Seiten des Lebens zu richten? Hätte er nicht doch besser vom Petrinum in ein Theologiestudium wechseln sollen? Bei dieser Überlegung dachte er sofort an Vera. Sobald er daheim war, wollte er sie noch anrufen.
Die Frau drückte die Handynummer des Chefinspektors. Er hatte sein Telefon nicht eingeschaltet. Und so wartete sie darauf, ihm diese wichtige Nachricht in Kurzform auf die Mobilbox sprechen zu können. Sie hatte sich soeben eine knappe Formulierung zurechtgelegt, als sie unerwartet mit einem Mann vom Journaldienst des Landeskriminalamts verbunden war, dem sie in etwa das sagte, was sie aufs Band zu sprechen vorgehabt hatte. Er solle das bitte dem Dr. Laber mitteilen, der wisse sofort Bescheid, worum es gehe. Sehr wichtig wäre der Hinweis, dass der Anruf von Vera Stelzmann gekommen sei. Der Mann wiederholte, was er notiert hatte: »Datum, Uhrzeit. Anruf von Vera Stelzmann. Bei der Person in der schwarzen Kutte vom Foto handelt es sich wahrscheinlich um einen Google-Mann.«
»Ja, sehr gut, danke«, bestätigte Vera zerstreut, als sie bereits überlegte, was sie tun sollte, wenn sie Erich heute tatsächlichnicht mehr erreichen würde. Sie hatte Angst, auf gut Glück in die Mohrstraße zu radeln, und wagte auch die Rückkehr in ihre eigene Wohnung nicht. Sie würde wohl am besten – hier bleiben! Ja, warum denn nicht? Hier wäre sie doch sicher. In ihrem Zimmer im Mozarteum, da konnte sie sich zur Not doch auch hinlegen.
Denn zur nächsten Polizeidienststelle zu radeln, um dieses Erlebnis zu Protokoll zu geben … abgesehen davon, dass es ihr peinlich wäre … was sollte dabei schon herauskommen? Was sie zu melden hatte, betraf Dr. Labers ersten Fall in Salzburg, davon war sie überzeugt. Selbst wenn sie dann von den Beamten zu ihrer Wohnung begleitet werden sollte, würde sie trotzdem mit Sicherheit die ganze Nacht kein Auge zutun. Insgeheim hoffte sie ohnehin, Erich an diesem Abend noch telefonisch zu erreichen, um anschließend das zu tun, wozu sie jetzt fest entschlossen, was ohnehin längst überfällig war: Sie wollte zum ersten Mal bei ihm in der Mohrstraße übernachten.
Erich radelte dahin und dachte an Vera. Es erfüllte ihn auf einmal die Gewissheit, dass sie beide zusammenbleiben würden. Bis dass der Tod uns scheidet, dachte er, und er war glücklich. In dem Moment holte ihn ein großer Hund mit glattem schwarzem Fell ein und sprang mit sabbernden Lefzen und aus dem Maul hängender Zunge neben Erich her. Dabei sah er ihn so von der Seite an, dass von seinen Augen fast nur das Weiß aus dem Schwarz des wuchtigen Schädels hervorleuchtete.
Der Chefinspektor blieb sofort stehen und stieg auf der anderen Seite ab, worauf auch der Hund sogleich um das Rad herumlief. Da kam allerdings schon die Frau, mit der er
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