Mordsonate
an die Salzach und setzte sich auf eine der Bänke in der Nähe der
Insel
, einer Jugendbetreuungsstätte, in deren Garten ein weinrot gestrichener alter Eisenbahnwaggon stand, durch den er sich in eine Geschichte von Erich Kästner versetzt fühlte, des Buch-Heroen seiner Kindheit, von dessen Geschichten er nicht genug kriegen konnte und der von Kindern heute womöglich gar nicht mehr gelesen wurde, während der Laber-Bub aus Statzing so ungemein stolz darauf gewesen war, mit dem Autor den Vornamen zu teilen, auch wenn sein Patenonkel sich bei der Wahl ausschließlich an seinem eigenen Namen orientiert hatte. Vielleicht, sagte sich Erich schmunzelnd, hatte er ohnehin nur Emils wegen diesen Beruf gewählt. Während er sich wieder zur Salzach drehte, wo gerade das Ausflugsschiff
Amadeus
– hier galt offenbar überhaupt kein anderer Name als werbeträchtig – durch das braune Wasser pflügte, staunte er einmal mehr darüber, wie oft ein in die Jahre kommender Junggeselle wie er sich gedanklich in die eigene Kindheit zurückbewegte.
Mit dem Blick auf den Gaisberg, der eigentlich nicht mehr war als ein Hügel mit Sendemast, kostete Erich noch eine Zeitlang das Gefühl aus, als leitender Beamter hier einfach noch sitzen bleiben zu können und der Boje zuzuschauen, die in der Salzachmitte so tapfer der Strömung widerstand.
Es waren müßige Überlegungen, aber seit seiner Beförderung dachte Erich öfter daran, dass er vielleicht doch früher schon mehr Aufstiegswillen hätte entwickeln sollen. Aber er war ein Kind seiner Generation, für die es selbstverständlich war, gute Schulnoten über schlechte Beurteilungen des Betragens vor seinen Mitschülern zu rechtfertigen, um nur ja keine Sekunde lang als Streber zu gelten.Jetzt jedenfalls war Erich der Gedanke äußerst angenehm, so vieles selbst entscheiden zu dürfen, anstatt ständig von Entscheidungen anderer abhängig zu sein.
Erich radelte so lange wie möglich die Salzach entlang in Richtung Büro. Begleitet vom vertrauten Scheppern der Kotflügel, sobald er in ein Schlagloch geriet. Er pflegte seine Gebrauchträder an den Abverkaufstagen des Fundamts zu erwerben, weil er seit dem Kindheitstrauma, das er als Achtjähriger erlitten hatte, seine Räder grundsätzlich nur unversperrt stehen ließ. Das Fahrrad, das er jetzt benutzte, näherte sich jenem Zustand, bei dem er auf den Diebstahl zu hoffen begann, und er dachte des Öfteren daran, es selbst irgendwo auszusetzen, nur um endlich auf ein anderes umsteigen zu können.
Der Mann hatte damit gedroht, dass sie außer den Schlangen niemand bemerken würde, wenn sie zu schreien anfinge. Aber wenn sie die Vogelstimmen von draußen so gut hören konnte, müssten doch umgekehrt auch ihre Hilfeschreie nach draußen dringen, wenn Spaziergänger … sobald sie Stimmen hören würde, wollte sie es wagen … dann, nahm sie sich fest vor, würde sie so laut wie möglich um Hilfe schreien. Den Schlangen zum Trotz. Doch würden hier überhaupt Leute vorbeikommen? Sie hatte ja keine Ahnung, wie abgelegen ihr Gefängnis war. Das Auto war am Ende der Fahrt eine Zeitlang über einen Weg geholpert, der nicht asphaltiert zu sein schien. So viel hatte sie sich trotz ihrer Angst und der Aufregung gemerkt. Hatte es sich dabei nur um eine mit Schlaglöchern übersäte Zufahrt gehandelt, wie Birgit sie vom Wochenendhaus von Anjas Eltern kannte? Eine Zufahrt und kein Weg, der am Haus vorbeiführte? Eine Zufahrt, auf der kein Mensch gehen würde, der nicht zum Haus wollte? Der Mann hätte ihrdoch bestimmt wieder den Mund verklebt, wenn er fürchten hätte müssen, dass hier Spaziergänger vorbeikommen.
Wie spät mochte es sein? Ihr Entführer hatte doch versprochen, ein Frühstück zu bringen. Jetzt fiel ihr wieder ein, dass ihre Armbanduhr weg war. Papa! Wie würde Papa schimpfen, wenn sie auch die Uhr nicht mehr heimbrachte. Und was war mit ihrem Rucksack … dem Handy mit der neuen Wertkarte … Papa! Wie würde der sich aufregen, weil die Mutti doch wieder nachgegeben hatte, nachdem er so wütend ins Büro gefahren war. Aber ich kann doch nichts dafür, dass … Birgit schluchzte in sich hinein. Das würde Papa diesmal schon verstehen, dass sie keine Schuld hatte. Auch war sie gestern dann so schnell müde geworden … und auf einmal wusste sie auch weshalb: Weil ihr der Fremde ein Schlafmittel in das Getränk getan hatte. Davon war sie jetzt überzeugt, obwohl sie noch nie zuvor eine Schlaftablette genommen hatte. Denn ihre Tante
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