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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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Ehepaar Aberger beruhigte: Das passiere oft, dass Kinder nach einer Auseinandersetzung mit den Eltern für einige Tage abhauen, sich verstecken würden, um die sich ängstigenden Erwachsenen zu bestrafen.
    Zum Glück juckte die Haut heute nicht mehr. War das so ein Ausschlag wie bei Beate damals, in der dritten Klasse Volksschule? Als ihre Mama gestorben war. Vom Schock, wie die Lehrerin den Kindern erklärt hatte. War das Jucken gestern auch durch den Schock entstanden, weil sie so unversehens gepackt, in ein Auto gestoßen und verschleppt worden war?
    Wie schön musste es draußen sein … die Vögel zwitscherten so laut … sicher war es heute genauso sonnig wie gestern. Als sie einen Kuckuck hörte, begannen ihre Tränen wieder zu fließen, obwohl sie sich sofort sagte, dass sie bestimmt bald gefunden werde, ganz bestimmt! Und bei diesem Gedanken keimte in Birgit noch mehr Zuversicht auf. Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung, was draußen vor sich ging. Die Polizei war vielleicht schon ganz nahe. Bald würden die Männer auf das Haus stoßen und sie befreien. Ganz sicher! Sie musste jetzt nur ausharren, denn sie hatte das doch schon im Fernsehen gesehen … die vielen Polizisten … die Suchhunde. Die würden sie finden. Natürlich fanden die sie. Vielleicht traute sich ihr Entführer deswegen nicht mehr zurückzukommen, weil er schon von weitem gesehen hatte, was da los war, rund um das Versteck.
    Auf einmal hatte sie dasselbe Gefühl, das sie als Fünfjährige beim Versteckenspielen mit ihrer älteren Cousine auf dem Land so oft gehabt hatte, wenn sie irgendwo hinter dem Stall, getarnt mit einem Rest alter Dachpappe, ineiner Ecke gehockt war und mit einem Stöckchen in der feuchten Erde herumgestochert hatte, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Während sie sich ihr Kleid bis zu den Knöcheln hinuntergezogen hatte, war in ihr immer dieser beruhigende Gedanke aufgestiegen, ohnehin bald gefunden zu werden. Auch wenn es im Spiel darum ging, möglichst lange nicht entdeckt zu werden, hatte sie sich nach einiger Zeit damit beruhigt, von der Cousine bald aus dem Versteck geholt zu werden, da sie beim Warten nach und nach die Vorstellung zu ängstigen begann, dass die Rosi sie womöglich vergeblich suchen würde und sie noch lange an dem Ort verbleiben müsse, der ihr alles andere denn geheuer war. Schließlich war so ein Versteck meist irgendeine übel riechende Ecke oder ein verstaubter Unterschlupf gewesen, wo sich die Spinnweben in ihrem Haar verfangen hatten; oder ein feuchter Platz, bevölkert von allerlei unheimlichem Getier. Bei einem der ersten Male hatte sie sich sogar angemacht. Und war trotzdem bis zu ihrer Entdeckung mit der nassen Unterhose hocken geblieben. Als ihr das jetzt einfiel, hoffte sie, dass jemand kommen würde, bevor sie wieder aufs Klo musste. Die Polizei. Bis dahin, sagte sie sich entschlossen, ist die Polizei längst da … und mit ihr Mutti und Papa!
    Und während sie noch der tröstlichen Vorstellung von ihrer Befreiung nachhing, die vielen Uniformierten und die Suchhunde ganz deutlich vor Augen hatte und sah, wie sie alle zielstrebig durch hohes Gras oder Wälder streiften, begannen ihre Tränen wieder zu fließen, und ihr Körper wurde vom Zucken eines heftigen, fast lautlosen Weinkrampfs erfasst.
    Wollte der Mann vielleicht doch Geld dafür, dass er ihre Finger … aber Mutti und Papa, wie sollten die das bezahlen, wo doch Papa schon wegen einer Telefonwertkarte …und ihr wieder einmal die hohen Raten für Wohnung und Auto vorgehalten hatte. Wo doch ihre Kleidung nur im Ausverkauf gekauft wurde … und manche Marken sowieso nicht in Frage kamen, auch bei den Schuhen … wie peinlich, dass ihre Schuhe zuerst immer zwei Nummern zu groß waren … Mutti und Papa könnten doch nie bezahlen, wenn der Mann … warum dann gerade sie? Wo allein in ihrer Klasse so viele Kinder sehr wohlhabender Eltern – ja! Auf einmal schoss es Birgit, dass alles ein Irrtum war, jawohl, der Mann hatte sich geirrt! Er hatte das falsche Mädchen entführt!
    Anjas Papa verdiente sehr viel. Ja, das war es: Der Mann hatte sie mit ihrer besten Freundin verwechselt, mit der sie so oft wie möglich beisammen war und die doch auch sehr gut Klavier spielte, auch wenn nun Birgit zum Wettbewerb nach Vilnius fahren durfte. Der Mann hatte eigentlich Anja entführen wollen, um ihre Eltern zu erpressen! Und Birgit war aus der Wohnung der Wegers gekommen. Dafür, dass er Anjas Finger weltberühmt machen würde, dafür

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