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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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einzunehmen. Sicher würde es nicht lange dauern, bis sich im hiesigen Landeskriminalamt herumgesprochen hatte, dass der Dr. Laber sich nach dem Frühstück im Klo mit seiner elektrischen Bürste die Zähne zu putzen pflege, sofern ihm die Nachricht über diese Eigenheit – neben einer Reihe anderer, die seinen Ruf, etwas schrullig zu sein, begründeten – nicht ohnehin aus Linz vorausgeeilt war. Er schmunzelte, denn seit er zu der Überzeugung gelangt war, auf Schritt und Tritt vorwiegend Menschen von der Stange zu begegnen, genoss er es nicht nur, seine Individualität zu kultivieren, sondern auch, dass manche Leute darüber den Kopf schüttelten – während sie die wirklichen Zumutungen des heutigen Lebens durchwegs als unabänderlich ertrugen.
    Seit Anna und Peter Aberger gestern Abend mit Fotos ihres Kindes das Wachzimmer an der Staatsbrücke betreten hatten, um die Abgängigkeit ihrer Tochter anzuzeigen, war in ihrem Leben nichts mehr so wie noch einen Tag zuvor – obwohl sich die äußeren Verpflichtungen eines berufstätigen Ehepaares nicht geändert und ihnen die Polizeibeamten mehrmals nachdrücklich versichert hatten, dass neunzig Prozent der abgängigen Kinder innerhalb einer Woche wieder heimkehren würden.
    Obschon sie sich unentwegt beschworen, warum gerade ihre Birgit zu den zehn Prozent gehören sollte, die nichtmehr heimkamen, gelang es ihnen immer nur für kurze Zeit, sich an solchen statistischen Daten aufzurichten.
    Anna hatte in dieser Nacht so gut wie keinen Schlaf gefunden, war immer nur für kurze Zeit eingedöst und in der Früh so in der Wohnung herumgeirrt, als habe sie tatsächlich die Orientierung verloren. Und als sie mit der Gießkanne auf dem Balkon gestanden war, waren ihr erneut die Tränen über die Wangen gelaufen. Genauso wie beim Anblick des unbenutzten Bettes in Birgits Zimmer, an dem sie mehrmals vorübergegangen war, ehe sie es mit großer Beklemmung betreten hatte.
    Zum Frühstück hatte das Ehepaar viel starken Kaffee getrunken und sich immer wieder in stummer Verzweiflung angeschaut, bis Peter, mit kratziger Stimme und wenig überzeugend, einmal mehr gemeint hatte, dass Birgit sicher bald von selbst wieder heimkommen würde. »Ganz bestimmt, Anna. Ganz bestimmt.« Man lese doch ständig darüber, dass Kinder abhauten und nach gar nicht langer Zeit wieder heimkehrten. Kaum dass er das (zum wie vielten Mal eigentlich schon?) gesagt hatte, hatte er den Blick von seiner Frau schon wieder abwenden müssen.
    Erich genoss es, an diesem frühsommerlich warmen Tag im Mai von seiner Wohnung in die Alpenstraße zu radeln. Es würde noch einige Zeit dauern, bis er sich in der Mozartstadt wirklich zurechtfände, aber mit dem Weg zum Kollegen Hagleitner klappte es bereits vorzüglich. Schneller als erwartet war er, aus der Hellbrunner Straße kommend, bei der Tankstelle, die er sich eingeprägt hatte, um dort darauf zu warten, die Alpenstraße überqueren zu können. Und wieder berührte ihn der Anblick des an eine heruntergekommene Mietskaserne aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert erinnernden Gebäudes, wie beim erstenMal, als er es im Vorbeifahren aus dem Auto gesehen hatte, nachdem ihn einer seiner Mitarbeiter, mit dem er unterwegs gewesen war, mit einer spöttischen Bemerkung über den Palast der Kollegen darauf aufmerksam gemacht hatte.
    Während er an seinem Dienstort, einem festungsartigen Neubau, keine zwei Kilometer stadtauswärts und ebenfalls an der Alpenstraße gelegen, von einer bunten Mikado-stäbe-Skulptur aus Stahl, die mit ein paar überdimensionierten Eiswaffeln kombiniert wirkten, empfangen wurde, ließen hier neben der wuchtigen hölzernen Eingangstür von der Art, wie sie in Erichs Heimat in Bauernhöfen Verwendung fanden, zwei traurige Rosensträucher ihre weinroten Blütenköpfe hängen, während der nahe am Haus vorbeifließende Bach sich hinter wuchernden Hollerbüschen mit einem verzagten, meist vom Verkehrslärm der Alpenstraße übertönten Rauschen bemerkbar machte, das freilich eher an ein Pissoir erinnerte.
    Jetzt, vor Unterrichtsbeginn in den nahe gelegenen Schulen, zogen Herden schnatternder Buben und Mädchen am Gebäude vorüber, an dem von außen nicht mehr auf seine Bestimmung hinwies als die Tafel POLIZEI. Viel eher erwartete man, dass eines der alten Fenster, von deren Rahmen der Lack abblätterte, von einem Pensionisten geöffnet würde, der dann, auf einen Polster gestützt, stundenlang das Geschehen beobachten würde. Erich sagte sich

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