Mordsonate
genommen.«
»Wer hat Ihnen Ihre Mama genommen?«
»Wer, wer! Na, wer wohl? Sie natürlich!«
»Wer ist sie?«
Lux ging auf diese Frage nicht ein, sondern griff nach dem Kaffeebecher, behielt ihn kurz in der Hand und stellte ihn, ohne getrunken zu haben, wieder ab. »Gewarnt habe ich sie. Aber sie wollte es ja so. Wollte ihre gerechte Strafe. Und sie hat sie bekommen, als geniales Gesamtkunstwerk! Vielleicht hat sie mich doch gemocht. Und inzwischengeahnt, was in mir steckt.« Der junge Mann schob mit der Zunge seine Oberlippe gegen die Nase und schniefte mehrmals auf. »Ja, ja, die hat es schon so gewollt. Hat alles getan, dass es so gekommen ist. Ich habe sie nicht hierher geholt, ich nicht!«
»Wie haben Sie sie denn gewarnt, die Frau Professor Stelzmann?«
»Mit den Mozarttränen natürlich. Damit sie sich sofort auskennt. Damit hat sie … mein Leben hat sie damit zerstört … und die Mama ins Grab gebracht.«
Erich ließ ihn einen Schluck Kaffee nehmen, bevor er nachfragte: »Wie war das denn genau gemeint mit den Tränen?«
»Ihr Satz natürlich, der hat alles zerstört!«
»Ihr Satz?«
»Mozart würde weinen, wenn er das hören müsste! Weinen würde er, weinen!«
»Wenn er was hören müsste?«
»Na, was wohl? Mein Klavierspiel halt.«
Lux schniefte wieder auf wie ein Kind.
»Aber … das ist doch bestimmt schon sehr lange her, oder? Da waren Sie noch ein Kind?«
»Zehn. Genau zehn Jahre. Zehn Jahre war ich, und zehn Jahre ist es her. Genauso alt wie die jetzt!«
»Birgit Aberger.«
Lux nickte nur andeutungsweise und richtete sich auf seinem Sessel auf, als wäre er gerade ermahnt worden, nicht so am Tisch zu lümmeln. »Mit genau derselben Sonate. Die ist so etwas von gemein, diese Stelzmann. Im selben Alter wie ich damals. Und mit haargenau dieser Sonate! Das … so etwas … das ist doch … abartig! Dieses widerliche Wunderkind-Getue … Klavierwunderkind … so gemein … alles nur … nur wegen mir! Nur meinetwegen.Weil sie doch genau gewusst hat, wie mich das treffen muss. Deswegen ist sie auch hierher gekommen, nach Salzburg.« Aber, fügte er murmelnd hinzu, sie habe mit der gerechten Strafe erlöst werden wollen von ihrem Unrecht. »Weil sie mich doch vorher … jahrelang hat sie mich gequält. Gnadenlos gequält.«
»Wie hat sie Sie denn gequält?«
»In meinem Kopf natürlich, wo denn sonst! Da drinnen«, sagte Lux und klopfte mit den Knöcheln seiner rechten Hand gegen seine Schläfe. »Da drinnen hat sie keine Ruhe gegeben, nein, die nicht.« Er sei weg aus München, sofort nach dem Abi hierher nach Salzburg. Und jetzt sei sie nachgekommen und habe sich die Erlösung geholt. »So ist die nämlich!«
»Aber das Mädchen, was konnte denn das Kind dafür?«
»Die hat es genauso gewollt. Ich habe sie doch gefragt.«
»Gefragt?«
»Ob sie es will. Ob sie will, dass ich ihre Finger weltberühmt mache. Natürlich wollte sie das. Sie wollte es! Hat sie mir auch gesagt.«
»Aber doch nicht um den Preis!«
»Alles hat seinen Preis! Na klar war es auch eine Strafe … sie ist laut genug hervorgehoben worden. Nur damit ich leide.«
Der Mann verlor die Fassung und vergrub seinen Kopf schluchzend zwischen den Armen auf dem Tisch. Der Wahn, mit dem dieser Mensch sein Verbrechen zum Kunstwerk erklärte, rief beim Chefinspektor Beklemmungen hervor. Zumal es ihm unerträglich war zu wissen, dass dieses Scheusal seine Vera ermordet hatte. Wie es für ihn auch kaum auszuhalten war, dass vermutlich Veras jugendliche Unbeherrschtheit die irrwitzige Entwicklung dieses Menschen mit verursacht hatte.
»Warum haben Sie dem Mädchen Juckpulver unter die Kleidung –«
Lux hob ruckartig seinen Kopf und fuhr Erich an: »Ich war das nicht! Das war ich nicht!«
»Wer soll es denn sonst gemacht haben?«
»Beim ersten Mal war ich es nicht. Sie hat mich aber trotzdem beschuldigt, die Stelzmann. Obwohl ich es nicht war!«
»Aber bei Birgit Aberger haben Sie es getan. Sie und niemand sonst!«
»Weil ich das noch gut gehabt hatte«, entgegnete er trotzig. »Zuerst hat sie mich zu Unrecht beschuldigt, und dann hat sie endgültig alles kaputt gemacht, mit ihrem Satz. Die Mama umgebracht damit!«
»Woran ist Ihre Mutter denn gestorben?«
»Schilddrüsenkrebs. Den die Stelzmann ausgelöst hat! Weil ich nach dem Vorfall nie wieder Klavier spielen wollte. Zum neuen Lehrer bin ich nur einmal und dann nie wieder. Was glauben Sie, wie sich meine Mama gekränkt hat! Und vor ihren Freunden
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