Mordsonate
Ich habe deine Ausreden satt! Endgültig satt!« –, klimperte Birgit teilnahmslos vor sich hin und sah auf das blank polierte Holz des Pianinos. Komisch, wer putzte denn sein Instrument so sorgfältig, ohne es stimmen zu lassen? Während sie sich noch darüber wunderte, sah sie in dem spiegelnden braunen Holz neben den Noten unerwartet ein schreckliches Bild. Ein entsetzlicher Anblick, von dem sie sich nicht mehr lösen konnte und der sie bestürzt aufschluchzen ließ.
Wie grauenvoll, was sich da matt und kontrastarm in der polierten Oberfläche des Instrumentes spiegelte!
Gerlinde hielt den Hörer noch in der Hand, als ihre Gedanken schon wieder um Hans kreisten und sie sich mit leichtem Trotz sagte, dass sie sich die neue Frisur doch nicht nur seinetwegen habe machen lassen. Aber sie wusste natürlich, dass sie sich damit selbst belog.
Warum war sie denn plötzlich so … gekränkt, nur weil Hans die Frisur nicht bemerkt … nein, weil er sie selbst nicht wirklich wahrgenommen hatte, als sie ihm auf dem Gang über den Weg gelaufen war? Hans war wieder ganz außer sich gewesen, wie schon gestern bei ihrem Telefonat, als er hatte anklingen lassen, dass große Änderungen bevorstanden. Mit Herzklopfen hatte Gerlinde das dahingehend gedeutet, dass er nun tatsächlich mit Petra reinen Tisch machen würde, wie er ihr das in ihrer gemeinsamen Nacht so oft angekündigt hatte. Und heute … da hatte er einzig und allein von dem Trumpf gesprochen, den er jetzt mit seiner Tochter gegen diese Schweine in der Hand habe,die es so eilig hätten, ihn loszuwerden. Weil die Anja jetzt international durchstarten und es allen zeigen werde, wie er ihr hastig zugeflüstert hatte. Jetzt, hatte er dann mehr gekeucht als gesprochen, jetzt sei nämlich sein Mädel an der Reihe … die würden sich alle noch sauber anschauen, in der ENAG! Oh nein, den Vater eines solchen Kindes könne man nicht mehr einfach so vor die Tür setzen, nur weil ein paar Wahlen schief gegangen waren. Ein Hans Weger habe schon auch seine Mittel, um sich zur Wehr zu setzen, ein Hans Weger wisse schon auch, was er tun müsse, damit man ihn nicht so einfach abservieren könne. Er ziehe schon auch seine Fäden, wisse, bei wem die Daumenschrauben angesetzt werden müssten, da sollten sich diese Leute nur ja nicht täuschen!
Wie oft hatte Gerlinde sich schon gefragt, was für ein eigenartiger Mensch sie doch war, wenn sie die Annäherungen von Männern stets mehr abwehrte als zuließ, jedem von ihnen aber sofort nachtrauerte, sobald ihre Abwehr tatsächlich erfolgreich gewesen war. Als sie nach der Nacht mit Hans am frühen Samstagnachmittag mit starken Kopfschmerzen allein in ihrer Wohnung aufgewacht war, hatte sie mit Erleichterung daran gedacht, dass Hans Weger jetzt nicht bei ihr, sondern bei seiner Familie war. Waren ihre Bindungsängste tatsächlich unüberwindbar? Würde der mächtige Schatten, den die Ehe ihrer Eltern heute noch auf sie warf, überhaupt nie verschwinden? Das Beispiel des lebenslänglichen Streits und erbitterten stummen Nebeneinanderherlebens in feindseliger Abwehr eines Partners, von dem man sich aus irgendeinem Grund doch nicht trennte. Lag es nicht tatsächlich immer nur daran, dass in ihren Augen ein Mann nie perfekt genug war, um sich vorstellen zu können, eine bessere Ehe zu führen als die, unter der sie als Kind so entsetzlich gelittenhatte, dass ihr damals eine Scheidung der Eltern als geringeres Übel vorgekommen wäre als dieser ewige Zank, der Gerlinde und ihren Bruder auch die seltenen streitlosen Phasen nicht unbeschwert erleben ließ, weil ihnen die Angst vor dem erneuten Ausbruch ständig gegenwärtig war und sie beinahe so bedrückte wie der Streit selbst?
Und so war ihr, allem Herzklopfen zum Trotz, gestern gar nicht wohl gewesen bei der Vorstellung, dass Hans die wichtige Sitzung deshalb geschwänzt habe, weil er nach ihrem Telefonat sofort zu seiner Frau heimgefahren war, um reinen Tisch zu machen.
Warum hatte sie gestern keine Sekunde lang an Anja gedacht, obwohl Hans doch nicht müde wurde zu betonen, für seine Tochter wirklich alles in seiner Macht Stehende tun zu wollen? Denn welchen Grund könnte es für Hans sonst geben, seinen Widersachern dermaßen in die Hände zu spielen, wenn er jetzt, wo ohnehin schon heftig an seinem Sessel gesägt wurde, auch noch täglich einfach davonlief, obwohl seine Anwesenheit dringend erforderlich gewesen wäre?
Auf einmal keimte in Gerlinde wieder jenes Misstrauen auf, das von
Weitere Kostenlose Bücher