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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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Chef gerade gemacht haben. Er wollte Magister Wiesinger vom Verschwinden seiner Birgit erzählen – und brachte doch kein Wort über die Lippen.
    Diplomingenieur Albert Himmelsauer presste seinen Rücken fest gegen das knarrende Leder der hohen Lehne seines riesigen Chefsessels, während er, um Luft ringend, schwer durch den halb geöffneten Mund atmete. Er hatte den Eindruck, seine Nase würde sich von Tag zu Tag noch mehr verstopfen, und der Spray, den er verwendete, nützte kaum noch; also zog er an seinem Krawattenknopf. Den Gürtel brauchte er nicht zu lockern, da er längst auf Hosenträger umgestiegen war.
    Wozu tat er sich überhaupt diese Saftkur an, verdammt noch mal, wenn nach fast zwei Wochen, in denen er sich quälte, noch kein anderer Erfolg festzustellen war als der, dass er sich von Tag zu Tag unleidlicher fühlte und ständig nur ans Essen dachte? Wie war er heute wieder erschrocken, als er bei seiner Ankunft im ENAG-Verwaltungsgebäude im Glas der Portierloge die erschreckenden Ausmaße seines Wanstes bemerkt hatte – eine Fülle, die ihm unansehnlicher vorgekommen war denn je.
    Einmal mehr wurde ihm bewusst, dass er ein Auslaufmodell war: So polternd wie er hatten übergewichtige Männer in den frühen 1960er Jahren Betriebe geleitet – und waren dafür bewundert worden. Heute stach Diplomingenieur Himmelsauer heraus aus all den schlanken, gleichermaßen gut aussehenden wie perfekt gekleideten Managern, die über zielgerichtete Strategien die Aktienkurse ihrer Unternehmen nach oben trieben, um damit die erfolgsbezogenen Bestandteile ihrer Verträge zur Gänze auszuschöpfen. Dabei war ihnen völlig gleichgültig, ob ihre Tätigkeit zur nachhaltigen Sicherung einer Firma beitrug oder diese gerade untergrub – sobald sich diese Frage stellte, waren sie längst woanders am Werk (auf die gleiche Weise, versteht sich). Der DI, wie er ENAG-intern genannt wurde, hegte eine starke Aversion gegen diese Entwicklung und war deshalb auch sehr froh gewesen, als ihn in Deutschland das Angebot zur Rückkehr nach Salzburg erreicht hatte. Die ENAG, der landeseigene Energiekonzern, dem weitere möglichst zukunftsträchtige Geschäftsfelder eröffnet werden sollten, war so ganz nach seinem Geschmack. Obwohl er nie als Eigentümer tätig gewesen war, hatte sich Albert Himmelsauer stets als Unternehmer verstanden. Seine mit Flüchen gespickten Ausbrüche würden es nicht vermuten lassen, aber der DI war nicht nur von der Statur her unzeitgemäß, sondern wirkte im gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeld aus maßloser Gier und Skrupellosigkeit mit seinen von der christlichen Soziallehre geprägten ethischen Ansprüchen beinahe wie ein Außerirdischer. Auch seine regierenden Parteifreunde beteten längst irgendwelche neoliberalen Schnösel und hohlen Blender an. Zu der Zeit, als sich ihre Salzburger Statthalter für Albert Himmelsauer entschieden hatten, war deren Wirtschaftspolitik noch nicht so bedingungslos diesen neuen Leitbildern gefolgt wie jetzt.
    Der DI, selbst auf diesem Weg ins Unternehmen gekommen (wenn auch, um hier zu arbeiten), hatte sich über den Einfluss der Parteien in der ENAG keine Illusionen gemacht, hätte sich jedoch nie träumen lassen, wie weit dieser Einfluss tatsächlich reichte. Vor allem schickte offenbar jede Gruppierung, die Ansprüche geltend machen durfte, nur Nieten ins Haus – Leute wie den zwischen Friseurbesuchen und Fototerminen pendelnden Vorstandsdirektor Gutensohn (einen Parteifreund des DI), oder eben diesen verfluchten Weger. Alles Personen, die fachlich nicht das Geringste für das Unternehmen zu leisten vermochten, sondern hier nur versorgt wurden, indem man sie zu Direktoren bestellte und mit exorbitant hohen Gehältern ausstattete. Dem DI kam jedes Mal die Galle hoch bei dem Gedanken, welche Summen er allein für deren Abfertigungen rückstellen musste. Was ließe sich auf dem Personalsektor mit diesen Geldern bewerkstelligen! Manchmal neigte der DI dazu, in diesen Umständen den eigentlichen Grund für seine zunehmende Atemnot zu sehen – und weniger in den Gewichtsproblemen, die er einfach nicht mehr in den Griff bekam, nachdem er schon seit seiner Jugend gegen sportliche Betätigung Widerwillen verspürt hatte.
    Den Feschisten Weger zumindest würde er jetzt loswerden. Der Stimmenanteil von Wegers Partei war nach der Abspaltung in den Keller gerasselt. Diese Clowntruppe hatte ihren Anspruch auf den ENAG-Versorgungsposten verloren, zu dem sie nur deshalb gekommen war,

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