Mordsonate
war klar, dass er in Gedanken ganz woanders war. »Denen muss man einfach Feuer unterm Arsch machen, dann läuft es.«
Petra sah ihn verwirrt an.
»Das wird funktionieren, du wirst sehen. Aber ich hab gewusst, dass man da nachhelfen muss. Von allein geht gar nichts. Zunder unterm Arsch, verstehst du, dann rennt die Sache.« Die Stelzmann werde sie hineinholen, da sei er ganz sicher. »Die Zeit rennt uns nämlich davon. Anja muss jetzt auf Hochtouren vorbereitet werden. Denn sie wird fahren, Petra! Unsere Tochter wird in Vilnius dabei sein. Hunderte Millionen Zuseher in ganz Europa.« Genüsslichleckte er sich über seine Unterlippe und blickte seiner Frau in die Augen.
»Warum haust du aus dem Büro ab, wenn wichtige Sitzungen sind?«
»Hat sie also angerufen, die Gerlinde«, erwiderte er so befriedigt, als wäre das ganz in seinem Sinn. »Die haben längst Wind bekommen. Natürlich haben die das. Mit dem Vater von so einer Tochter … mit dem können sie nicht mehr so umspringen, das sag ich dir. Und das wissen die sehr genau. Ganz genau. Und das macht sie nervös.«
»Sie hat angerufen, weil keiner weiß, wo du dich herumtreibst!«
»Die sollen sich nur nicht gleich anscheißen, wenn es für sie nicht mehr so läuft wie geplant! Damit haben die einfach nicht gerechnet, das ist mir schon klar. Wäre ja alles ganz glatt gegangen … den Hans Weger abservieren. Aber damit ist jetzt Schluss! Wenn Anja nach Vilnius fliegt, dann haben die ausgeschissen. Und sie wird nach Vilnius fliegen!«
»Warum schaltest du denn überhaupt dein Handy aus? Ich hab immer geglaubt, ein Vorstandsdirektor muss rund um die Uhr erreichbar sein?«
Wie unter Einfluss von Rauschmitteln sagte er: »Jetzt, meine liebe Gattin, gibt es Wichtigeres als die ENAG. Unser Kind, Petra, es geht um Anja! Das ist momentan mein Hauptjob, und damit muss sich auch der DI abfinden. Da kann er sich auf den Kopf stellen, der Himmelsauer.«
Noch während er das sagte, griff er nach seinem Mobiltelefon. Nachdem ein Signal ertönt war, warf er einen kurzen Blick auf das Display, ließ das Gerät jedoch wieder in seine Anzugtasche gleiten. Als wäre er nicht ganz bei Sinnen, zwinkerte er seiner Frau mit verwegenem Gesichtsausdruckzweimal kurz zu und verließ mit einem Nicken die Wohnküche. Aus dem Vorraum hörte Petra noch den Klingelton seines Handys. »Was?«, rief er. »Warum?« Dann war er schon draußen, und die schwere Sicherheitstür fiel mit einem dumpfen Knall ins Schloss.
Petra Weger setzte sich an den Esstisch, legte die Hände flach darauf und starrte blicklos zum Fenster. Diese Brunner … das letzte Mal mehr als heute hatte sie sich angehört, als wolle sie sie eifersüchtig machen, dann aber war es Petra ein bisschen so vorgekommen, als wäre sie auch selbst eifersüchtig, weil Hans immer ohne Angabe von Gründen das Büro verließ. »Zu den unmöglichsten Zeiten.« Aber sie sei doch auch schon ganz durcheinander, sagte sich Petra Weger, nach allem, was zuletzt passiert war … Birgits Verschwinden … dass Hans ständig aufgebracht war. Denn so wie jetzt, dachte die Frau, so war er doch nicht immer gewesen! Sie war in diesen unglaublich gut aussehenden Mann auf Anhieb verknallt gewesen, damals, als sie von dem Autoverkäufer beraten worden war. Petra hatte kaum in der Glaskoje des Autohauses vor seinem Schreibtisch Platz genommen gehabt, als es um sie schon geschehen gewesen war. Er hätte ihr diesen zusätzlichen Rabatt für den gebrauchten Kleinwagen gar nicht eigenmächtig einzuräumen brauchen … der Mann hatte doch Charme besessen, Einfühlungsvermögen … als sanft und zuvorkommend hatte sie ihn kennen gelernt. Während der ersten Jahre hatte Petra vor nichts so große Angst gehabt wie davor, Hans jemals zu verlieren. Und jetzt? Eigentlich ließ sie das alles doch erstaunlich kalt. Wenn sie heute um etwas Angst hatte, dann nur noch um ihr Kind. Und seit Birgits Verschwinden war Petras Angst, dass auch Anja etwas zustoßen könnte, immer größer geworden. Wie taten ihr Birgits Eltern leid! Ob siesie nicht abends besuchen sollte? Ob sie finanzielle Hilfe bräuchten?
Petra seufzte einmal laut, rückte näher an den Esstisch heran, stützte die Ellenbogen darauf und legte ihr Gesicht in die Hände. Was war nur passiert mit ihnen? Nach elf Jahren Ehe. Empfand sie überhaupt nichts mehr für ihren Mann? Stach ihr nur noch das ins Auge, was sie an ihm störte? Als er, wie er ihr gegenüber immer behauptete, »nur wegen des Jobs« zu
Weitere Kostenlose Bücher