Mordsonate
loswerden wollte, während sie sich nach dem unerwarteten Frühstück hier erkennbar wohl zu fühlen begannen.
Eine junge Polizistin steckte den Kopf durch die Tür: »Vom Finger sagen wir eh nichts?«
»Nein, auf keinen Fall! Zu niemandem, hört ihr? Reine Routine, Renate. Eine Haarbürste des Kindes genügt. Und dass ihr euch ja nicht verplappert!«
»In Ordnung. Die Mutter kann eh nicht weg aus dem Supermarkt. Der Vater fährt jetzt schnell aus dem Büro heim.«
»Jeder Zweifel ausgeschlossen, es handelt sich um den Zeigefinger der rechten Hand der vermisst gemeldeten zehnjährigen Birgit Aberger, der dem bereits toten Kind abgetrennt wurde«, fasste Erich zusammen und hatte dabei das Foto des Mädchens vor Augen, das sämtliche Salzburger Zeitungen kürzlich auf ihren Titelseiten hatten.
Der junge Mitarbeiter der Gerichtsmedizin in der Christian-Doppler-Klinik nickte. »Und zwar nicht mit einem Skalpell, sondern … na ja, wie beim Fleischhauer. Hackstock und Beil, denke ich. Ich habe nämlich am Wundrand auch Hartholzpartikel gefunden. Feine, verunreinigte Absplitterungen eines wohl schon lange in Gebrauch stehenden Hackstocks.«
Erich schüttelte den Kopf und seufzte. »Keine Hautpartikel oder Faserspuren unter dem Fingernagel?«
»Doch.«
»Ja?«
»Von ihrer eigenen Haut.«
»Hmmm.«
»Und noch etwas anderes.«
»Etwas anderes?«
»Mucuna pruriens.«
Erich blickte den jungen Mann interessiert an, der neigte seinen Kopf etwas nach hinten, sodass sein zu einem Rossschweif zusammengebundener Haarschopf wie ein Pinsel sanft über seinen Nacken strich. Keine Frage, er genoss das Spiel mit dem neuen Chefinspektor und ließ sich etwas Zeit, bevor er, schauspielerisch durchaus begabt, wie Erich fand, ausführte: »Die ayurvedische Heilkunde sagt der Pflanze aphrodisierende Wirkungen nach, was uns hier aber ebenso wenig interessiert wie ihr Einsatz bei Parkinson infolge des Gehalts an L-Dopa.« Während einer weiteren Kunstpause vergewisserte er sich mit einem kurzen Blick auf Erich, ob er bereits zu sehr ins Detail gegangen war, denn der Vorgänger Dr. Labers pflegte bei diesen Spielchen ziemlich schnell die Geduld zu verlieren. Der neue Chefinspektor hingegen wirkte noch konzentriert. »Auch die stimmungsaufhellende Wirkung können wir getrost vergessen. Uns haben hier nämlich in erster Liniedie feinen rotbraun glänzenden Haare zu interessieren, mit denen die Samenkapsel der übrigens in Ostindien beheimateten Pflanze überzogen ist, bei der es sich um, jawohl, die Juckbohne handelt. Die klarerweise wo verwendet wird? Genau! Im Itching Powder. – Im Juckpulver.«
»Juckpulver?«
»Ja.«
»Hmmm. Gut, das Mädchen war ein Schulkind … ich wusste gar nicht, dass so etwas heute noch gebräuchlich ist«, stellte Erich verwundert fest, da er sich daran erinnerte, damit in seiner Schulzeit im Fasching reichlich Unfug getrieben zu haben. Aber heutzutage? Er wandte sich an seinen jungen Mitarbeiter Harlander, der ihn in die CDK gefahren hatte. Der Revierinspektor zuckte nur mit den Schulter.
»Das Kind hat sich jedenfalls mit diesem Finger gekratzt, weil es Juckreiz verspürt haben muss, so viel steht fest«, schloss der Gerichtsmediziner.
Der Fall war nach schneller Entscheidung durch Oberst Bermadinger vom LKA übernommen und Erichs Ermittlergruppe übertragen worden, da von Mord auszugehen war. Der Strafprozessordnung entsprechend war auch der Staatsanwaltschaft sofort der erforderliche Anfallsbericht erstattet worden. Erich hatte sich bereits kurz persönlich mit der Staatsanwältin Mag a . Eva Birding-Emmerich besprochen, der dieser Fall zugeteilt worden war. Sowohl für den Chefinspektor als auch für die Staatsanwältin war die Zusammenarbeit noch unerprobt, Erich war allerdings guter Dinge: Die Staatsanwältin, die erst seit einem Monat aus der Karenz zurückgekehrt war, war mit Arbeit völlig überhäuft und signalisierte Erich sofort, dass sie sich gegenseitig vertrauen und einander die Arbeit keinesfallsunnötig erschweren sollten. Er hatte verstanden, was sie damit sagen wollte. Überdies waren sie einander auf Anhieb sympathisch gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil sie an ihrer Aussprache sofort erkannt hatten, dass sie beide aus Oberösterreich stammten – Erich aus dem Mühl-, die Staatsanwältin aus dem Innviertel.
Wieder im LKA rief der Chefinspektor sein Team zusammen, bevor er den Gruppeninspektor Koller als Ersten losschickte, um in der Schule die Mitschülerinnen und Mitschüler
Weitere Kostenlose Bücher