Mordsonate
als fände sie dort diesen Finger, von dem sie gerade gesprochen hatte.
Gerlinde wandte sich von der offenbar Verwirrten wieder ab und ärgerte sich darüber, am Telefon Hans’ Frau aufgestachelt zu haben – nun wäre er nicht nur beruflich, sondern auch privat unter Druck und noch unberechenbarer. Und sie allein würde am Ende übrig bleiben. Sie hätte alle Schuld auf sich geladen, indem sie dieses Angebot angenommen hatte. Ein Angebot, das kein Mensch ablehnen würde! Aber an ihr allein würde letztlich alles hängen bleiben. Und von denen, die ihr dieses Angebot sofort und ungefragt gemacht hatten, würde in diesem Land kein Mensch mehr reden, davon war Gerlinde Brunner jetzt überzeugt.
Es war schon fast dunkel, als Vera Stelzmann aus dem Mozarteum trat und zu ihrem Fahrrad ging. Trotz des langen Arbeitstages und der Sorge um Birgit fühlte sie sich beschwingt. Und ihre Unbeschwertheit hatte mit dem zu tun, woran sie sofort dachte, als sie von weitem schon das weiße Viereck eines Briefumschlags auf dem Gepäckträger ihres Rades sah. Oh la la, Herr Kommissar. Sie legen ja ein ordentliches Tempo vor, Herr Chefinspektor. Sie lächelte vergnügt und ging unwillkürlich schneller. Nun ja, wenn ein gestandener Mann so errötete …
Sie war aufgeregt und bemerkte erstaunt, wie laut sie sich atmen hörte, als sie nach dem Umschlag griff, der weder Adressat noch Absender aufwies und auch nicht zugeklebt war. Schnell fasste sie hinein und zog – nicht die erwartete Nachricht aus dem Kuvert, sondern … nein! Was soll denn das! Ein Studentenulk?
Das Foto, bei dessen Anblick die Frau zuerst kurz erschrak,zeigte nichts weiter als – einen Kapuzenmann. Wobei nicht zu erkennen war, ob es sich um Mann oder Frau handelte, da die verhüllte Person in einer Art Ku-Klux-Klan-Kutte steckte, die jedoch nicht weiß war, sondern schwarz. Vera atmete mehrmals heftig durch und schüttelte ungläubig ihren Kopf. Ihre Linke hielt das Kuvert, die Rechte das Foto. Sie besah sich noch einmal den unbeschrifteten Umschlag und war plötzlich fest davon überzeugt, dass die Botschaft nicht ihr galt. Wahrscheinlich hatte ein Student ihn einer Kollegin ans Rad gesteckt, um sie zu erschrecken. Und diese hatte das Kuvert einfach an das nächste Rad gesteckt. Wer weiß, über wie viele Gepäckträger es im Laufe des Tages schon gewandert war. Vera musste den Impuls unterdrücken, es dem nächsten in der Reihe auf den Gepäckträger zu klemmen, wie sie sich auch den Griff nach ihrem Rucksack und der Visitenkarte von Dr. Laber versagte. Lächerlich! Es würde nach einem durchsichtigen Vorwand aussehen, wenn sie ihn um diese Zeit deswegen noch anriefe – obwohl sie nichts lieber getan hätte.
Professor Stelzmann behielt den Umschlag samt Foto in der Hand und ließ beides im Vorbeifahren in den nächsten Abfalleimer segeln.
Anna Aberger wandte sich vom Weihwasserbecken der Kajetanerkirche ab und ging so leise wie möglich zur letzten Bankreihe. Täglich hatte sie seit Birgits Verschwinden zu Hause darum gebetet, dass ihr Kind wieder wohlbehalten heimkommen möge, hatte dafür eine Dankwallfahrt versprochen und ihre Bereitschaft zu jedem Opfer bekundet, das ihr dafür als Gegenleistung abverlangt werden würde. Jedes Mal hatte sie das Beten beruhigt, und am Ende war ihr immer gewesen, als würde sie etwas insich spüren, das darauf hindeutete, dass ihre Gebete erhört würden. Denn die Gespräche mit Peter drehten sich längst im Kreis. Er war nicht der Mensch, der tatenlos zuwarten wollte, er war gewohnt, etwas zu tun – aber in diesem Fall war für sie beide nichts anderes möglich, als abzuwarten. Auch als er gestern so aufgebracht heimgekommen war, weil er von einem Arbeitskollegen gehört hatte, dass womöglich gar Anjas Vater etwas damit zu tun haben könnte, weil jetzt doch seine Tochter am Wettbewerb teilnehmen würde … ein Gerücht, das Peters Arbeitskollege über einen Bekannten aus Herrn Wegers Firma erfahren hatte … Auch da hätte Peter am liebsten … aber Anna hatte auch daraus sofort große Hoffnung geschöpft. Und ihrem Mann davon abgeraten, damit zur Polizei zu gehen, denn was würde denn mit ihrem Kind passieren, wenn Herr Weger damit tatsächlich etwas zu tun haben und womöglich in Haft genommen … dann wäre Birgit doch in irgendeinem Versteck hilflos alleingelassen. Anna hatte gestern Abend sogar darum gebetet, dass Herr Weger … denn was wäre schon die Teilnahme an so einem Wettbewerb gegen Birgits Heimkehr? Sie
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