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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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würde doch bestimmt wieder einmal eine Chance bekommen … solle Anja doch mitmachen, wenn Herrn Weger so viel daran lag. Anna mochte Anja sehr, war immer froh darüber gewesen, dass die Kinder nun schon so lange enge Freundinnen waren, und sie gönnte es ihr doch auch und hatte sich sofort geschworen, wenn Birgit wohlbehalten zurückkäme, wäre es ihr völlig egal, ob der Grund ihres Verschwindens aufgeklärt werde oder nicht. Kurz hatte sie sogar überlegt, Herrn Weger direkt zu fragen, ob … nur damit diese furchtbare Ungewissheit ein Ende hätte. Wenn er ihr bedeutete, dass Birgit nach dem Wettbewerb wieder heimkommen würde – wie dankbar wäre sie ihm dafür gewesen!Aber es war ihr natürlich schnell klar geworden, dass so etwas unmöglich war … allein, wie sollte sie den Mann darauf ansprechen? Niemals würde er zulassen, in so einer Sache in Verdacht zu kommen. Nein, sie müssten einfach abwarten, bis Anja nach Vilnius gefahren … wenn alles vorüber wäre, dann würde Birgit bestimmt sehr bald heimkommen.
    Jetzt, in der Stille und Kühle der Kirche, in die sie aus der drückenden Schwüle eingetreten war, sodass sie den abendlichen Stadtlärm augenblicklich hinter sich gelassen hatte, war sie wieder voll Zuversicht und sprach schon im Voraus Dankgebete für die glückliche Heimkehr ihrer Tochter.
    Es ergab doch keinen Sinn, dieses Kind für irgendetwas büßen zu lassen. Was hatte sie denn angestellt? Und was hatten ihre Eltern denn verbrochen, um so bestraft zu werden?
    Bei diesen Überlegungen hielt Anna ihre Augen geschlossen und hörte plötzlich vorne beim Altar das quietschende Geräusch weicher Gummisohlen auf dem Steinboden. Ein Priester war offenbar aus der Sakristei gekommen und machte eine Kniebeuge. Dann ging er gemessenen Schrittes auf Anna zu, um ihr halblaut mitzuteilen, dass er leider die Kirche jetzt zusperren müsse. »Ja, ein Gotteshaus … es sollte offen stehen, ich weiß, aber es geschehen so viele Vandalenakte, wir müssen leider …«
    »Selbstverständlich, ja«, sagte Anna nickend. Sie erhob sich, deutete eine Verbeugung an und bekreuzigte sich, bevor sie die Kirche verließ und sich auf den Heimweg machte. Sie war noch nicht weit gekommen, als es laut zu donnern anfing. Und als Anna Aberger die Nonntaler Brücke überquerte, klatschten schon die ersten großen Regentropfen auf den staubigen Asphalt. Die Hitze dieses Tagesentlud sich in einem heftigen Gewitter, und Anna fing plötzlich an zu lachen, sah in den Regen, anstatt Schutz vor ihm zu suchen, blickte zum Nachthimmel empor – und hatte das Gefühl, als sei dieses Rumoren dort oben die Antwort auf ihr Flehen.

2
    Der Schrei gellte durch die in der Morgendämmerung liegende Mohrstraße. Erich schien darin einzustimmen, indem er wie ein Chorsänger in derselben Tonhöhe in den Aufschrei der Zeitungsausträgerin einfiel. Dann erst hob auch er seinen Kopf und sah, was die Frau aufschreien und reglos hatte verharren lassen: An einer Fahnenstange hing, auf Halbmast aufgezogen, an einem zu groß wirkenden Fleischerhaken, der in einer leichten Brise mit hellem Klicken immer wieder gegen den Metallmast schlug, eine abgehackte Kinderhand, von der noch das Blut zu Boden tropfte.
    Erich hörte noch seinen eigenen Schrei beim Anblick der nach unten weisenden gespreizten Finger, die aussahen, als hätten sie eben noch auf dem Klavier einen Akkord angeschlagen, als er seine Augen bereits geöffnet hatte und im Bett sitzend mit schwerem Atem in das Halbdunkel seines provisorischen Schlafzimmers starrte. Nach einigen Schrecksekunden ließ er sich erschöpft auf den Kopfpolster zurücksinken. Dann griff er zum Wecker, um die Beleuchtung der Anzeige einzuschalten: 4.58 Uhr.
    »Hans! Was um Himmels willen geisterst du denn um diese Zeit herum? Warst du denn noch draußen?«
    Petra hatte bemerkt, wie ihr Mann das Schlafzimmer verlassen hatte. Sie hatte gedacht, er gehe aufs Klo, und war bald wieder eingeschlafen; und jetzt, wohl ein, zwei Stunden später, hatte sie ihn erst wieder zurückkommen gehört, nachdem sie zwischendurch einmal im Halbschlaf zu seiner leeren Betthälfte hinübergegriffen hatte.
    »Was tust du denn um die Zeit draußen?«
    »Schlaf weiter. Ich konnte nicht schlafen. Ich war spazieren. Ich muss nachdenken. Vielleicht habe ich mich verrannt … vielleicht funktioniert das so nämlich gar nicht, wie ich geglaubt –«
    »Was denn, Hans?«
    »Die ganze Sauerei. Es wird eng. Vielleicht habe ich alles unterschätzt. Es

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