Mordsonate
können, was in ihr steckte, war groß genug gewesen, dass sie sich gesagt hatte, was helfe es denn noch, wenn sie von sich aus aussagte, der Tote werde dadurch nicht mehr lebendig. Und wenn die Polizei zu ihr gekommen wäre, dann hätte sie niemand an ihrer Aussage gehindert; das hatte ihr auch der Parteisekretär zugesichert. Nur, die Polizei war nie bei ihr erschienen. Wie sie auch beim Landtagspräsidenten keinen Alkotest am Unfallort vorgenommen hatte.
Dem Polizisten war es vorhin nur um Hans gegangen.Und um das Verschwinden des Mädchens. Es fehle ja noch jede Spur von Birgit Aberger. Und Herrn Weger wäre da vielleicht etwas aufgefallen. Aber Gerlinde Brunner konnte dem Ermittler nicht sagen, wo der Vorstandsdirektor momentan zu finden sei. Und dass sie ihn gestern zufällig getroffen hatte, tat doch nichts zur Sache. Gerlinde erwähnte die Begegnung nicht. Schließlich hätte sie dann mit der Frage rechnen müssen, worüber sie mit Hans Weger geredet habe. Nein, sie musste schon auch auf sich schauen. Sie war eine alleinstehende Frau. Wer sollte ihr helfen, wenn nicht sie sich selbst?
Gerlinde fiel es jetzt schwer, sich auf die E-Mails zu konzentrieren, die inzwischen eingelangt waren. Sie hatte jeweils zu entscheiden, ob sie dem Chef einen Ausdruck machen sollte, da es der Generaldirektor ablehnte, selbst am Bildschirm Mails zu lesen.
Hatte ihr der Chef vorhin die Angst angesehen, dass Hans womöglich etwas von ihrem Geheimnis wissen und damit an die Öffentlichkeit gehen könnte? Das Wort »erpressen« ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.
Petra Weger zuckte zusammen, als sie der Mann plötzlich von hinten ansprach … sie war gerade aus dem Lift gestiegen … er … er musste schon auf sie gewartet haben. Ja, ja, natürlich, wenn er von der Polizei sei, klar, bitte, er solle doch hereinkommen. Sofort war sie verunsichert, flüchtete sich zuerst einmal darein, die Einkäufe zu verstauen. Sie war die Gattin eines Vorstandsdirektors der ENAG! Aber bei unvorhergesehenen Ereignissen fühlte sie sich immer noch wie die zwanzigjährige Bürokraft, die beim Kauf ihres ersten eigenen Gebrauchtwagens auf diesen umwerfend gut aussehenden Verkäufer getroffen war und sich augenblicklich in ihn verliebt hatte.
»Warum, Frau Weger, ist Ihr Mann nicht im Büro?«
»Er hat sicher … er hat doch viele Termine außerhalb«, versuchte Petra ohne großes Talent dem Beamten etwas vorzuspielen. »Und«, sagte sie schnell, »unsere Anja … er hat auch da so viel zu tun, wissen Sie … sie soll ja gerade wegen Birgit … mein Gott, so eine schlimme Sache, so ein liebes Kind … und so … so begabt … hoffentlich kommt sie bald wieder zurück, denn sonst müsste unsere Anja, sie ist ja Zweite geworden bei der Ausscheidung … sonst müsste sie beim Wettbewerb antreten, wissen Sie. – Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Wenn es keine Umstände macht, gerne.«
»Nein, nein, das geht eh alles automatisch …« Sie griff nach einer teuren Bleikristallschale mit Kaffeekapseln und bat den Polizisten, eine Sorte zu wählen.
»Und Torte wollen Sie wirklich keine?«, wiederholte sie ihre Frage, als sie sich mit zwei Tassen zu Herrn Koller an den Tisch setzte, der wie ein Reporter Notizbuch und Kugelschreiber vor sich liegen hatte. Er sah … sah er eigentlich wie ein Polizist aus? Sie hatte sich nicht einmal seinen Ausweis zeigen lassen … wenn der Mann gar nicht von der Polizei … warum scheute sie sich davor, ihn nach dem Dokument zu fragen? Warum war es ihr peinlich, obwohl doch so viele Betrüger unterwegs waren? Warum schaffte sie es noch immer nicht, endlich wie die Frau eines Vorstandsdirektors der ENAG aufzutreten?
»Verändert, der Hans, meinen Sie, in letzter Zeit? Ja, schon. Es gibt Schwierigkeiten … die Partei, Sie wissen ja, dass die Parteien überall in Salzburg … und die vom Hans – na, was sag ich Ihnen, deshalb will man ihn aus der ENAG jetzt schon weghaben, verstehen Sie? Vor dem Auslaufen seines Vertrages rausmobben. Das belastet ihn sehr. Wo soll er denn dann hin … ein Vorstandsdirektor,der wieder Autos verkauft, Sie verstehen?« Petra Weger war nicht der Mensch, dem es gegeben war, sich zu verstellen. Obwohl sie nicht vorgehabt hatte, all das auszuplaudern, wusste der Mann sehr bald, was sie bedrückte. Und was ihrem Ehemann den Schlaf raubte.
»Aber wie die Birgit damals von hier weg ist … da ist Ihnen nichts aufgefallen? Dass ihr jemand gefolgt wäre zum Beispiel, als sie das Haus
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