Mordsonate
sich kurz wieder über sich selbst, da er zwar daran gedacht hatte, nach dem Befinden von Kollers Mutter zu fragen, dann aber doch wieder nichts gesagt hatte. Dr. Erich Laber galt in Linz als verlässlich und umgänglich, aber auch als nachtragend. Wieso fiel es ihm nur so schwer, dagegen anzukämpfen?
Gruppeninspektor Koller kam noch einmal in Erichs Büro zurück: »Ach ja, Chef. Seidl hat angerufen, um sich krank zu melden. Sein altes Leiden, der Magen.«
»Danke. – Wie geht’s denn Ihrer Mutter?«
»Sie wird heute operiert. Bauchspeicheldrüse.«
Erich nickte. »Wenn Sie zwischendurch zu ihr wollen, können Sie das auf alle Fälle machen.«
»Danke, Chef. Danke.«
Das Team in dieser Abteilung behielt die Anrede, die ihr früherer Vorgesetzter gewünscht hatte, bei. In Erichs Ohren klang sie inzwischen nicht mehr so fremd wie in den ersten Tagen.
Der Chefinspektor bat Mühlberger zu recherchieren, ob in den letzten Jahren in Salzburg oder im bayerischen Raum ähnliche Tatmuster aufgetreten waren. »Dass abgetrennte Gliedmaßen hinterlegt wurden.« Harlander solle ihm dabei zur Hand gehen. Dann rief er wegen der Berichterstattung im Vorzimmer von Oberst Bermadinger an, wo er erfuhr, dass der Leiter des Landeskriminalamtes »schon wieder« im Ministerium in Wien sei.
Erich grübelte über die mögliche Botschaft des Täters nach. Wenn er von einem Zusammenhang mit dem Wettbewerb ausging, so könnte der erste Finger auf die Fahrt nach Vilnius verweisen und der zweite darauf, dass die Professorin jetzt die Ersatzkandidatin vorbereiten solle. Das hieße: Weger. Aber würde ein bislang unbescholtener Bürger wirklich so weit gehen? Vor allem: Um das zu erreichen, was er offenbar wollte, brauchte er Birgit nicht umzubringen, sondern nur bis zum Ende des Wettbewerbs aus dem Verkehr zu ziehen. Oder war etwas nicht nach Plan gelaufen? Hatte das Kind ihn vielleicht erkannt? Seine Stimme, Birgit kannte doch die Stimme des Vaters ihrer besten Freundin! Denn der Mann wäre doch nicht so kaputt im Kopf, dass er seinem Kind auf diese Art die Konkurrenz einer größeren Begabung für immer aus der Welt schaffen wollte? Da müsste er ja auch mordend durch die Lande ziehen! Doch Täter denken nicht immer so weit.
Erich wusste, dass er bald mit Weger persönlich sprechen musste, wollte aber noch zuwarten. Er ging davon aus, dass der Täter seine makabren Botschaften so lange fortsetzen würde, bis die Ermittler sie entschlüsselten. Dem Chefinspektor graute davor, dass nun nacheinander die restlichen Finger des Kindes im Stadtgebiet auftauchen würden. Das mediale Aufsehen, das entstünde, wäreverbunden mit ständig steigendem Druck auf die Ermittler. Und dieser begünstigte erfahrungsgemäß Pannen. Dr. Erich Laber wollte aber keineswegs bereits an seinem ersten Fall in leitender Position scheitern.
Das größte Unbehagen verursachte ihm vorerst allerdings der Gang zu Birgits Eltern; er wollte nur noch das Untersuchungsergebnis zum zweiten Finger abwarten. Er griff zum Telefon und besprach sich mit der Krisenintervention, um rechtzeitig die Vorgangsweise zu koordinieren, denn der Besuch bei den berufstätigen Eltern käme nur nach Dienstschluss in Frage. Eine Psychologin stünde dann zur Unterstützung bereit.
Fast um eine Stunde später, als er am Vortag angekündigt hatte, rauschte der DI gegen halb elf Uhr mit Schwung in Gerlindes Büro. Seit längerem wirkte er auf sie heute wieder unbeschwert. Weil er die Saftkur beendet hatte? Oder kam es seiner Sekretärin nur so vor, weil sie sich alles andere denn unbeschwert fühlte, all der Befürchtungen wegen, die sie in einem fort so heftig bedrängten?
Wie gewohnt blieb der Chef schnaufend vor Gerlindes Schreibtisch stehen, um sich nach besonderen Vorkommnissen zu erkundigen. Dabei stellte er jedes Mal seine altmodische Aktentasche auf dem Tisch ab und legte beide Hände flach obenauf. Gerlinde sagte ihm, dass die Post schon auf seinem Tisch bereit liege, und berichtete, dass ein Kriminalbeamter da gewesen sei.
»Was haben Sie denn ausgefressen, Gerlinde?« Vergnügt zwinkerte er ihr zu.
Sie informierte ihn, dass es um Hans Weger gegangen sei.
»Was«, rief der DI gut gelaunt, »hat der jetzt die Kripo auch schon am Hals?«
»Es geht um dieses Mädchen, das verschwunden ist. Eine Freundin seiner Tochter.«
»Ach so.«
»Übrigens … ich habe ihn gestern zufällig in der Stadt getroffen.«
»Ja? Wie fein«, spottete der DI. »Da geht’s Ihnen ja besser als mir
Weitere Kostenlose Bücher