Mordspech (German Edition)
»Sonst noch was?«
»Der getötete Fahrradbote hat eine Schwester im Taunus«, sagt Beylich, seinen Notizblock aufschlagend, »wir haben sie über die dortigen Polizeidienststellen kontaktieren können. Sie wird in den nächsten Tagen hier eintreffen und sich einer Befragung zur Verfügung stellen.«
»Gut. Gibt’s Neuigkeiten aus der linksextremistischen Ecke?«
»Nicht wirklich. Wir haben die paar Freunde und Bekannten des Kuriers hinsichtlich dieser Szene befragt und deren Alibis überprüft. Alle zeigten sich ehrlich erschüttert über den plötzlichen Tod ihres alten Kumpels und kommen auch sonst weder örtlich noch zeitlich als Täter in Frage.«
»Schade.« Palitzsch nestelt an seiner Krawattennadel herum. »Dann können wir das abhaken.«
»Einen vagen Hinweis gibt es vielleicht zur Tatwaffe.« Beylich klemmt ein Foto von einem Gewehr mit Dreibein und Zielfernrohr an unsere Pinnwand. »Danach soll im vergangenen Jahr eine Lieferung von achtundfünfzig Präzisionswaffen der britischen Firma Accuracy International Limited an die SFOR -Truppe der Bundeswehr in Bosnien abgefangen worden sein.«
»Abgefangen?« Palitzsch stutzt. »Was heißt ›abgefangen‹?«
»Sie wurden gestohlen.« Beylich hebt die Schultern. »Jedenfalls erreichte die Lieferung die SFOR nicht. Aber einige von den Waffen sind auf dem Schwarzmarkt wieder aufgetaucht. Hier könnte sich auch unser Täter ausgerüstet haben.«
»Interessant.« Palitzsch klopft nachdenklich mit den Fingern auf die Tischplatte. »Was hat denn die Abteilung Organisierte Kriminalität so zur Waffenhehlerszene in ihren Akten?«
»Die OK konzentriert sich derzeit vor allem auf die altbekannten libanesischen Clans und neue kriminelle Gruppierungen aus dem Ostblock«, erläutert Beylich knapp. »Letztere unterscheiden sich von den bisherigen Strukturen im illegalen Waffenhandel vor allem dadurch, dass sie nicht wirklich organisiert sind. Es gibt keine Köpfe, kein Oberhaupt, wie zum Beispiel bei den Libanesen oder der italienischen Mafia. Die Aktionen dieser neuen Banden sind schwer vorhersehbar und eher spontan. Vornehmlich handeln sie mit Waffen, die aus den früheren Armeen des Warschauer Paktes kommen, also eher mit Kalaschnikows oder tschechischen Samopals.«
»Was logisch ist«, konstatiert Hünerbein, »denen fehlt der Zugang zur NATO .«
»Den hat aber die Mafia.« Ich zünde mir eine Zigarette an und inhaliere. Nikotin hält wach. Für einen Augenblick jedenfalls. »Wir sollten uns schleunigst Enzo vornehmen. Vielleicht weiß der was.«
»Prima«, findet das Hünerbein. »Ich wollte ohnehin was essen.« Er sieht auf die Uhr. »Und es ist ja auch bald Mittag.«
»Warum nutzen Sie nicht den Jugoslawen gegenüber«, mault Palitzsch, »wenn Sie essen gehen wollen?«
»Weil ich da nichts über den illegalen Waffenhandel erfahre.« Hünerbein erhebt sich hungrig. »Auf die richtigen Leute kommt es an.« Er klopft mir auf die Schulter. »Sardsch, auf geht’s!«
Ein Hektiker ist das. Vor allem wenn es um seinen stets knurrenden Magen geht, wird er unruhig.
»Sie wollen doch jetzt nicht im Ernst mit Kriminellen essen gehen!« Palitzsch rümpft missbilligend die Nase.
»Und ob, Kriminaloberrat. Es geht nichts über die richtigen Verbindungen zur Unterwelt.«
»Ich weiß von nichts.« Palitzsch hält uns kopfschüttelnd die Tür auf. »Und verderben Sie sich nicht den Magen. – Guten Appetit!«
14 WIE ALLE METROPOLEN dieser Welt hat auch Berlin ein straff organisiertes kriminelles Milieu: Neben deutschen Waffen- und Mädchenhändlern sind vor allem libanesische Clans, kolumbianische Drogenbarone, die neapolitanische Camorra, die sizilianische Cosa Nostra und die kalabrische ’Ndrangheta seit Jahrzehnten in der Stadt aktiv.
Frühere Versuche der Berliner Polizei, die kriminellen Geschäfte zu beenden, endeten im Desaster. Denn wenn es den Gesetzeshütern gelang, ein Loch in das feinmaschig gesponnene kriminelle Netz zu reißen, drängten sofort neue Gangster hinein. Das fragile Gleichgewicht der abgesteckten Claims kam ins Wanken, und blutige Bandenkriege um die Vormachtstellung im Milieu mit etlichen Toten waren die Folge.
Seitdem gilt ein ungeschriebenes Gesetz in der Stadt: Sorge für Ruhe im Bezirk, und es gibt keinen Ärger mit den Behörden.
Als nach dem Fall der Mauer russische, albanische und die sogenannten Jugo-Banden aus dem zerfallenden Jugoslawien in die fest gefügten Strukturen der alten Clans eindrangen, gab es erneut
Weitere Kostenlose Bücher