Mordspech (German Edition)
Namen.
»… dieser Kawelka hat seine Nase zu tief gesteckt in den Schlamm.« Enzo hebt hilflos die Schultern. »Wer sich in Gefahr begibt – chi non teme, pericola –, kommt darin um.«
»In wessen Schlamm, Enzo? Worum geht’s?«
» È complicato. Die Sache ist kompliziert.«
»Ich will es trotzdem wissen.«
Enzo seufzt erneut und reibt sich angestrengt über die kleinen, wachen Augen. Dann nickt er langsam, »va bene« , und packt mich am Arm. »Komm! Wir gehen nach hinten. Ich will dir etwas zeigen.«
Wir erheben uns.
»Ja, und?« Hünerbein guckt verdutzt und steht ebenfalls auf. »Wann gibt’s jetzt Essen?«
»Ich lasse es bringen nach hinten«, erklärt Enzo und öffnet eine Tür zum Nebenzimmer. » Ci abbiamo più di riposo. Da haben wir mehr Ruhe.«
Das Hinterzimmer ist vom eigentlichen Gastraum durch eine von innen verriegelbare, schalldichte Tür abgetrennt. Die Fenster sind vergittert und gehen zum Hof raus, doch Enzo zieht sofort die Vorhänge zu und schaltet das Licht an. Ansonsten ist der Raum ähnlich wie der Gastraum gestaltet, viel natürlich belassenes Pinienholz, hell getünchte Wände mit Weinregalen und Urkunden von Restauranttestern und der Hotel- und Gaststätten-Innung. Es gibt nur einen langen Holztisch, wie für eine Tafel oder Besprechungen, und zwölf Stühle mit rustikalem Flechtwerk drum herum, je fünf an den Längsseiten und je einer an den Enden.
»Setzt euch!« Enzo deutet auf den Tisch und holt aus einer Kommode eine Grappaflasche hervor sowie ein Glas, das er füllt und mit einem Zug leert. »Aah!« Er sieht uns fragend an. »Wollt ihr auch?«
Wir winken unisono ab. Für Grappa ist es uns wirklich noch zu früh.
»Was wolltest du uns zeigen, Enzo?«
Enzo stellt den Grappa wieder weg und holt stattdessen eine umfangreiche, in blaues Kunstleder gebundene Mappe heraus. Er blättert darin herum und legt sie uns dann aufgeschlagen vor. »Pronto!«
Offenbar ein vergilbter Auszug aus dem Katasteramt oder einem Grundbuch. Es zeigt die Kopie eines Flurstücks und die Umrisse von Gebäuden, Wegen und eine Grundstücksgrenze. Irritierend ist ein Reichsadler mit Hakenkreuz im rechten oberen Rand sowie die Bezeichnung » DSC Waldwerk Deutsche Sprengchemie GmbH«. Quer über das Papier wurde »Heeresversorgungsamt – Streng geheim!« gestempelt.
Fragend sehen wir auf.
»Das ist der Plan für eine alte Bunkeranlage der deutschen Wehrmacht«, erklärt Enzo ruhig. »Sie haben dort produziert Giftgas im letzten Krieg. Chemische Kampfstoffe. Mehrere hunderttausend Tonnen. Sie kamen nie zum Einsatz.«
Interessant. »Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Das Zeug lagert noch heute in diesem Bunker«, erklärt Enzo und schlägt einen Straßenatlas auf. » Una bomba a orologeria. Eine tickende Zeitbombe. Hier!« Er zeigt auf einen Punkt nahe der polnischen Grenze nordöstlich von Berlin. »Mitten in einer Gegend, die ein Trinkwasserreservoir für unsere schöne Hauptstadt ist. Es heißt Oderbruch, oder so ähnlich.«
»Und?« Wir verstehen noch immer nicht.
»Es gibt eine Jahrhundertflut«, sagt Enzo, »alle Zeitungen schreiben das. É un inferno . Hochwasser überall. Auch hier! Keine fünfzig Kilometer entfernt.« Er tippt wieder auf die alte Flurkarte des Heeresversorgungsamtes. »Und was passiert dort mit dem ganzen Gift?« Er setzt sich an den Tisch. »Sind wir bedroht? Dringt es ins Grundwasser? Müssen wir bald trinken Gift? – Darüber wollte er schreiben, der Kawelka. Er hatte il becco dappertutto seine Nase überall. Es ist ein Skandal, und er wollte berichten über die Gefahr. Far fuori qualcuno. Jemand hat das verhindert.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ich habe Ohren und Augen. Sie hören und sehen sehr viel.«
Natürlich gibt er seine Quellen nicht preis. Und wir werden Enzos Aussagen überprüfen müssen. Aber ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass er keinen Blödsinn redet.
Du lieber Gott! Sitzen wir auf Hunderttausenden von Giftfässern? Droht uns eine Umweltkatastrophe aus dem Oderbruch? Wird unser Trinkwasser vergiftet? Wurde Kawelka deshalb ermordet? Weil er die Gefahr erkannte und wir nichts davon wissen sollen? Aber warum?
»Wer steckt dahinter?«
»Alti papaveri.« Enzo winkt ab. »Große Mohnblumen.«
Das ist so ein Ausdruck von ihm. Damit meint er hochgestellte Persönlichkeiten, Politiker, Industrielle, was weiß ich?
»Können wir uns den Plan kopieren?«
Enzo nickt seinen Söhnen zu, die mit Hünerbeins Essen
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