Mordspech (German Edition)
entsprechenden Genossenschaft ist, müssen wir erst wieder zurück nach Kreuzberg an den Mehringdamm. Dafür kommt er mit einem perfekten Picknickkorb aus dem Laden, mit Biowein, Biobrot, Biosalat und Biobrotaufstrich sowie Biobananen und Biobirnen.
»Die sind vielleicht lecker, die Birnen dieses Jahr«, schwärmt er mir im Auto vor. »Aus dem Havelland, probier mal! Wunderbar saftig, weil es in diesem Jahr so viel geregnet hat. Warm genug war es ja für Birnen. Die Apfelernte dagegen dürfte ziemlich karg ausfallen. Aber wer braucht schon Äpfel, wenn er solche herrlich goldenen Birnen hat …«
Während er so weiterpalavert, biegen wir nach links in die Baerwaldstraße ab, und ich schaue mir die Gegend an. In den Siebzigern habe ich hier mal gewohnt. Viel verändert hat sich nicht. Altbauten aus der Kaiserzeit wechseln mit tristen Wohnkasernen des Berlin-Aufbauprogramms aus den fünfziger Jahren. Dazwischen gibt’s Bolzplätze und Tankstellen, Grünanlagen und das Sommerbad an der Prinzenstraße. An der Ecke Gitschiner fahren wir rechts und die Strecke an der Hochbahn lang über die Skalitzer Straße durch das alte SO 36 . Das ist eine Abkürzung für den alten Berliner Postzustellbezirk Südost 36, der bis zur Einführung der Postleitzahlen den kleineren, ärmeren Teil Kreuzbergs markierte. Danach hieß es dann 1000 Berlin 36.
Der gehobenere, bürgerliche Teil Kreuzbergs dagegen hatte die 61. Und noch heute, im Zeitalter undurchschaubarer fünfstelliger Postleitzahlen, definieren sich alteingesessene Kreuzberger als 36er oder 61er. Es ist eine Lebenseinstellung, wo man wohnt. Die 36 bedeutet Punk, Migration und sehr viel Bier, die 61 steht für Jazz, Prosecco und den Wochenmarkt am Chamissoplatz.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Hünerbein sieht mich vorwurfsvoll an.
Nee, keine Ahnung, was er gesagt hat. Ich war wohl wieder eingeschlafen und habe von Postleitzahlen geträumt. Gähnend sehe ich mich um. Hünerbein hat den Wagen in der Wrangelstraße vor einem Laden gestoppt, wo es amerikanische Uniformen und Stahlhelme, Bomberjacken, Schutzanzüge und Gasmasken gibt.
»Genau das, was wir brauchen.«
»Wir wollen nicht in den Krieg, Harry.«
»Aber in einen Bunker.« Hünerbein steigt aus dem Auto. »Und ich will mich nicht mit dem Zeug anstecken, was auch den Kawelka dahingerafft hat.«
»Den Kawelka hat eine Drahtschlinge umgebracht.«
»Aber wenn die ihn nicht getötet hätte, wäre er – erinnere dich – an diesem Zeug gestorben, von dem Graber erzählt hat, diesem …«
»… Chlortrifluorid.«
»Genau«, nickt Hünerbein. »Und deshalb gehen wir jetzt da einkaufen.«
Es ist sinnlos, ihm etwas auszureden. Der Kollege macht sowieso, was er will. Wir kaufen Schutzanzüge, Handschuhe und Gasmasken und in einem Gewürzladen an der Ecke noch Rosmarin und Knoblauch für die Hähnchenkeulen.
»Die sind doch schon gewürzt, Harry!«
»Nein, nein, Sardsch. Das erledige ich lieber selbst. Lass mich nur machen!«
Na, das kann was werden, denke ich und bereue schon ein wenig, Hünerbein zu diesem Ausflug überredet zu haben.
Die Oberbaumbrücke verbindet Kreuzberg mit dem Friedrichshain und wurde 1896 im neogotischen Stil anstelle der alten Zollbrücke, dem sogenannten Oberbaum, errichtet. Natürlich steht sie unter Denkmalschutz. Das Bauwerk überspannt die Spree an der ehemaligen Grenze zwischen Ost- und Westberlin und wirkt auf mich immer wie ein fragiles venezianisches Wasserschloss, das mit zwei trutzburgartigen Backsteintürmen aus dem Mittelalter verunstaltet wurde.
Danach herrscht Chaos. Inzwischen hat der Berufsverkehr eingesetzt, und da macht sich im Osten Berlins das Fehlen einer Stadtautobahn bemerkbar. Die Autos stauen sich auf der Warschauer Straße und auf der Frankfurter Allee, und das Ausweichen auf Nebenstraßen ist riskant, denn überall wird gebaut. Da kann man schon mal unverhofft in einer Sackgasse landen, weil plötzlich das Kopfsteinpflaster aufgerissen wurde und Baufahrzeuge die Weiterfahrt unmöglich machen. Also bleiben wir brav auf der Haupttangente Richtung Friedrichsfelde und stoppen am Bahnhof Lichtenberg, um die Hähnchenkeulen zu besorgen.
»Stopp, Meister!« Hünerbein lehnt sich an den Tresen der Hähnchenbraterei. »Keine fertig gebratenen Goldbroiler, bitte. Ich will nur Keulen, frische Keulen, verstehen Sie? Ich würze die erst mit meinem Spezialrezept, und dann hauen wir die in Ihren Grill. Ist das okay?«
»Okay, aber nicht üblich«, antwortet der
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