Mordsschnellweg: Kriminalstorys
Klassenraum neben der Loge des Hausmeisters hatten die Techniker drei Kartons gestapelt. »Das sind die Sachen aus dem Schrank im Lehrerzimmer. Den hat er übrigens mit Herrn Nehl geteilt. Der Mann war so freundlich, uns beim Auseinandersortieren zu helfen …«
Steigerwald betrachtete die Sammlung: Ein Klassensatz Industrielle Revolution und soziale Frage, ein angebrochenes Paket Abzugspapier, zwei Tennisbälle, ein Rundschreiben der Schulleitung (Betr.: Pausenaufsicht auf dem Hof), ein zerfledderter Kriminalroman mit einer Teufelsmaske auf dem Titel, eine Zigarrenkiste.
Der Kommissar öffnete den Behälter. Ein Stapel gefalteter, zum Teil geknitterter Blätter, alle mit Texten nach dem Muster: Sehr geehrter Herr Sommer! Mein Sohn Stefan konnte gestern nicht zur Schule kommen, weil …
Er wollte die Zigarrenkiste schließen, als er unter den Papieren etwas Glitzerndes entdeckte. Es war eine unbeschriftete DVD. Steigerwald fischte sie heraus und schaute sich um.
Auf dem nächsten Tisch war das Hab und Gut aufgebaut, das Sommer in der Schule gelagert hatte. Im Requisitenraum der Theatergruppe hatten in einem Blechspind zwanzig nagelneue Pullover mit dem Bild eines springenden Raubtiers gelegen, im Wandschrank des Informatiksaals mehrere Stapel mit Programm-CDs für verschiedene Computersysteme, im Kofferraum seines verwaisten Volvo ein Laptop.
»Gestohlen?«
Die Technikerin, die Steigerwalds Plauderstunde mit dem Schulleiter gestört hatte, verneinte: »Sein Bruder betreibt in seiner Garage in Blankenstein eine Art Hi-Fi-Laden. Der hat auch die Schulcomputer und sämtliche Videogeräte geliefert.«
Der Kommissar nahm den Laptop vom Tisch und setzte sich. Er fuhr den Rechner hoch und wartete darauf, die DVD einschieben zu können. Doch das Fach war bereits belegt und die runde Scheibe kam ihm entgegen. Diese hier war beschriftet: Höllennächte in Bredeney.
Steigerwald legte sie zur Seite und schob die unbeschriftete DVD in den Schacht. Doch die freudige Erwartung, etwas zu entdecken, was ihm bei der Aufklärung des Mordes helfen könnte, legte sich bald. Es handelte sich um Aufnahmen von Proben der Theater-AG, die es nicht wert waren, mehr als fünf Minuten Lebenszeit damit zu vergeuden.
Enttäuscht ließ er die DVD auswerfen. Dachte nach. Starrte auf die beschriftete CD. Bredeney! Das war, wenn ihn nicht alles täuschte, eine der Gegenden in Essen, in denen die feineren Leute wohnten. Mit einer Doppelgarage neben dem Haus und einem Swimmingpool im Garten. Was konnte an diesem Leben höllisch sein?
10
»Die Kripo hat etwas gefunden!«
Wer die Nachricht als Erster verkündet hatte, war später nicht mehr aufzuklären. Auf jeden Fall verbreitete sie sich auch ohne Dreiklanggong und Lautsprecherdurchsage in weniger als fünf Minuten. Die Mitglieder des Kollegiums strömten aus allen Ecken der Schule zusammen. Vor der weit geöffneten Tür des Biologiesaals herrschte ein Andrang, als ob dort das vierzehnte Monatsgehalt ausgezahlt werden sollte.
Drinnen verteilte sich die Meute tuschelnd auf die Sitzreihen, die wie in einem Hörsaal stufenweise nach hinten anstiegen. So alt diese Bänke auch waren – mit Fernseher, Computer, DVD-Player und Beamer war der Raum bestens ausgestattet.
Steigerwald musterte die Anwesenden, während er sich dünne, durchsichtige Plastikhandschuhe überstreifte. Selbst die bereits vernommenen Damen und Herren waren wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Basten und Brücken saßen Schulter an Schulter vorn auf den Rasierplätzen, Adelheid Patzke flüsterte mit ihren Freundinnen vom Boutiquentisch, Studiendirektorin Brockhaus hockte wie eine beunruhigte Glucke in der obersten Reihe eines geschlossenen Blocks von Faltenröcken, Maeder und Nehl kauerten hintereinander an Randplätzen nahe dem Ausgang. Nur der eifrige Holtmann hatte sich wie immer frühzeitig abgeseilt: Möglicherweise baute er gerade das Dachgeschoss seines Eigenheims aus.
Wortlos griff Steigerwald in seine Jackentasche und holte den runden Silberling heraus. »Kann mir jemand behilflich sein?«
»Ich mach’s schon!«, meldete sich eine helle Stimme. Auch ohne sich umzudrehen, erkannte Steigerwald die e hrenamtliche Staatsanwältin vom Anti-Nikotin-Dezernat. Sie fuhr den Rechner hoch, schob die DVD in das Laufwerk und schaltete den Beamer ein. Auf der runden Scheibe gab es nur eine einzige Datei: Höllennacht.avi
Klick! Sekunden später färbte sich die Projektionsfläche über der Tafel. Auf
Weitere Kostenlose Bücher