Mordsschnellweg: Kriminalstorys
dem vollgeschissenen Tränenkind ist das süßeste Mädchen der Südstadt geworden, der Tisch ist abgeräumt, die Spülmaschine in Aktion.
Bevor Töchterchen die seltene Chance nutzen kann, um die Weltraumstation meines Stamm halters in, grob g eschätzt, siebenhundert Legosteine zu zerlegen, nehme ich es an die Leine und trabe die Treppe hinab. Als ich schon die Klinke der Haustür berühre und mich auf dem Weg zum Kindergarten wähne, schrillt hinter mir ein Schrei, der jeden Stromstoß an Wirkung übertrifft: »Nicht, Papi! Nicht mit dem Auto! Mit dem Fahrrad!«
»Hör mal, Schätzchen, Papi hat heute …«
»Nein, Papi! Mami hat doch gesagt, dass wir bei diesem Wetter das Auto stehen lassen sollen. Das ist gut für die Umwelt und besser für deinen Bauch.«
Mamis Worte sind Gesetz und Brunhilde vererbt ihre Normen schon mit der Muttermilch. In meiner Not blicke ich zum Himmel auf, doch Kumpel Petrus übt Verrat und lässt die Wolken heute im Stall.
»Warte, Schätzchen.«
In höchster Eile checkt mein angeborener Computer alle Stichwörter durch, die im Kapitel ›Hilfe‹ gespeichert sind: Von A wie ›Ablenken‹ über E wie ›Eis‹ bis zu K wie ›Kompromiss‹. »Weißt du, Schätzchen, Papi hat eine Idee. Wir packen das Rad einfach in den Kofferraum. Dann kannst du heute Mittag …«
»Aber dafür kriege ich ein Eis! Bitte!«
Einen Augenblick neige ich dazu, in diesem Punkt hart zu bleiben. Aber zwei stahlblaue Mädchenaugen erinnern mich daran: Das Kind ist nicht allein von mir, es hat auch eine Mutter.
4
Die Uhr zeigt 09:20:14, als ich an meinen Tatort zurückkehre. Die Federung des Dichterthrones ächzt, die Brennweite der Pupillen wird auf Armlänge zurückgeschraubt, ein kritischer Blick auf den Monitor – nein, der Tod eines Pudels ist spießig und banal. Helden müssen Tragisches durchleben, damit sie aus den Ruinen ihres Lebens neu erstehen und die Welt retten können.
Döring war Leiter der Kripo in Bochum, bis er am Morgen eines heißen Augusttages seinen Opel Corsa auf dem Parkplatz des Präsidiums abstellte und nicht daran dachte, dass seine Tochter Sophie auf dem Rücksitz schlummerte. Von dem Schock, den der Tod seines einzigen Kindes auslöste, erholte sich Döring nie mehr. Sandra ließ sich scheiden und Döring fing an zu trinken. Er machte Fehler im Job und wurde gefeuert. Als Döring ganz unten angekommen war …
… meldet sich das Telefon. Es dauert einige Sekunden, bis ich in die Wirklichkeit zurückfinde und mein Blick auf die Uhr fällt: Zehn vor zehn, Gattin hat die Aufsicht in der Pausenhalle hinter sich und genießt nun die einzige Freistunde an diesem Vormittag.
»Hallo, mein Bester. Ich wollte zwischendurch nur einmal nachfragen, wie es dir geht …«
Ein anderer würde auf diese Sirenenklänge hereinfallen – aber ich bin mit dieser Frau seit zehn Jahren verheiratet. Bevor sie erneut Atem schöpfen kann, halte ich Kugelschreiber und Notizblock bereit.
»Schön, dass es dir gut geht«, sagt sie, ohne dass ich nur eine Silbe entgegnet habe. »Hör mal, mein Bester, es wäre fein, wenn du noch vor dem Mittagessen ein paar Kleinigkeiten erledigen könntest.«
Mein Kopf nickt ohne mein Zutun – Konditionierung ist in einer Ehe wie der meinen das halbe Überleben.
»Mir ist gerade eingefallen, dass wir Flurwoche haben, und du machst das ja viel besser als ich. Außerdem würde es dir wirklich gut zu Gesicht stehen: Unsere Nachbarinnen glauben ja noch immer nicht, dass ein Hausmann so viel schafft wie eine Ehefrau …«
Auch diese Melodie ist mir vertraut: Den Ehrgeiz-Trick startet Gattin mindestens dreimal die Woche.
»Gut«, fährt sie fort, ohne mein Einverständnis extra einzufordern. »Aber denk an den Raum zwischen den Geländersprossen, dort schaut die Meiersche als Erstes nach. Und vergiss die Oberkante der Türrahmen nicht: Letzte Woche hat die Schneidersche sie einfach übersehen. Und für die Fußmatten nimmst du den Staubsauger, damit bist du gründlicher als die Webersche …«
»Verstanden«, melde ich mich, froh darüber, dass ich überhaupt noch zu Wort komme.
»Wunderbar. Also: Ciao, mein Bester, ich mache jetzt noch ein bisschen Mathe in der Oberstufe. Es reicht, wenn du mit dem Kochen um halb zwei fertig bist …«
5
Ich kenne nicht nur Frau Meier, Frau Schneider und Frau Weber – ich kenne alle Weibsen in der Nachbarschaft. Und ich kenne sie mittlerweile gut genug, um mich jedes Mal beim
Weitere Kostenlose Bücher