Mordsschock (German Edition)
interessierte, einen zerknüllten Zettel mit Adresse zuschob und etwas von „heute Abend um 21.30 Uhr“ zuraunte, kramte Ehrhardt in seiner schwarzen Aktentasche herum.
Er holte einen Stapel Pressemitteilungen hervor, die ich abdrucken sollte. „Ludwig hat neue Pläne. Er möchte ...“, redete er über die Vorhaben seines Parteichefs und ignorierte meinen vorgeschobenen Brustkorb ebenso wie meine nackten Beine, die durch den hochgerutschten Rock und den zurückgeschobenen Stuhl voll in sein Gesichtsfeld rückten.
Mit gesenktem Kopf brütete Ehrhardt über den Papieren. Mein Gott, im Vergleich zu ihm verkörperte Herbie ja beinahe einen Draufgänger! Aber herzig war er in seiner zurückhaltenden Art. Ich fand es rührend, wie er sofort wieder hochsprang, um meinen Stuhl zurechtzurücken. Und als Zorn seine weichen Gesichtszüge für kurze Zeit beim Gedanken an Christine Rieckens Tod entflammte, hatte das meine Neugier auf seine Männlichkeit geweckt. Wie fühlte sich dieser Babyspeck-Körper an, wenn ihn wahre Leidenschaft entfachte und zum Glühen brachte?
Drei Stunden später meldete sich Ehrhardt telefonisch bei mir.
Ich sog mir gerade einige Zeilen über eine Künstlerin, die aus einem Haufen rostiger Nägel Statuen kreierte, aus den Fingern.
Er klang ein wenig atemlos. „Ich habe mit Ludwig gesprochen. Er rät dringend davon ab, etwas zu unternehmen. Wir sollten die Sache erst mal ruhen lassen.“
„Wieso?“
„Er nannte keine konkreten Gründe. Er sagte nur, es gehe verwaltungstechnisch alles einwandfrei seinen Gang. Das Ganze sei kein Thema.“ Mehr wusste Ehrhardt nicht.
Ich ließ meine Nagelstylistin im Stich und dachte über den Gottesanger nach. Ruhen lassen, alles einwandfrei, kein Thema? Verkauften die mich für blöd? Ich holte mir vom Imbiss einen Croque, wanderte zum Rathausmarkt, setzte mich auf eine Bank, biss so heftig in das Baguette, dass mir die Mayonnaise um die Ohren spritzte, und starrte zu dem kleinen Balkon mit der schmiedeeisernen Brüstung hoch, von dem Christine Riecken gesprungen war. Wenn ich mit ihr noch reden könnte!
Eine Frau, deren Hintern an einen Brauereigaul erinnerte, setzte sich neben mich. Auf ihrem Allerwertesten hätte man bequem vier Bierkrüge nebst Stammtisch parken können. Zwei Jungen zwischen fünf und sieben Jahren, die offensichtlich ihrem gebärfreudigen Becken entsprungen waren, rannten kreischend um die Bank herum. Sie stoppten das schwindelerregende Spiel, als einer meine Tasche entdeckte und sich für den Inhalt interessierte.
„Kinder in diesem Alter sind so neugierig“, meinte die stolze Mutter. „Man sollte ihnen unbedingt ihren Willen lassen!“
Aha! Weil ich ihre beiden Goldschätze ignorierte, ging sie weiter.
Schadenfroh beobachtete ich, wie einer ihrer Söhne zwei Rosensträuße aus dem Eimer vor dem Blumengeschäft riss und die Blüten abpulte.
„Stell die wieder hin!“, schimpfte der Brauereigaul.
„Nein, das sind jetzt meine!“, erwiderte der drollige Nachwuchs und warf einem entgegenkommenden Mann die Blütenblätter auf die Kameratasche.
Herbie!
Die beste Medizin gegen Kummer sind Menschen wie Herbie. Ich erzählte ihm von meinen Recherchen. „Verstehst du, ich stecke fest. Kopf in der Sackgasse und keiner redet“, wütete ich. „Bei mir klappt nie etwas. Wenn ich mal gute Geschichten ausgrabe, laufe ich gegen eine Wand. Ach, das gilt für mein ganzes Leben.“ Selbstmitleid überwältigte mich. Ich dachte an Vic und heulte.
Herbie lieh mir sein Stofftaschentuch, und ich durchweichte seine Jacke. Vorsichtig zeichnete er die Sommersprossen auf meiner Nase nach.
„‚Wunschpunkte‘ hat meine Mutter sie genannt. Wenn ich nur fest genug an eine Sache glauben und meine ganze Kraft auf sie konzentrieren würde, würde ein Wunschpunkt auf die Erde segeln und der Wunsch in Erfüllung gehen.“ Ich schniefte.
„He, willst du aufgeben und denen die Genugtuung lassen? Du bist eine gute Journalistin, mach was draus!“ Herbie holte aus dem Supermarkt gegenüber ein Flutschfingereis, um mein verweintes Gesicht zu kühlen.
„Diese jungen Leute heutzutage. Tragen ihre Ehekrisen öffentlich aus. Aber Scheidungen sind ja modern“, kommentierten zwei alte Damen die Szene im Vorübergehen.
In meinem Inneren machte es leise ‚Klick‘. Anstatt zu kühlen leckte ich den Flutschfinger. Ich würde nicht aufgeben, sondern dran bleiben! Von diesen Kleinstadtpolitikern ließ ich mir keinen Maulkorb verpassen!
„Irgend so
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